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Kategorie „gut bezahlte Kleindarsteller“

'Junge Welt'-Chefredakteur Hans Dieter Schütt über Skins, Antifaschismus und BRD-Medien / Alles Schlechte kommt vom Westen / Auszüge aus einem Kommentar  ■ D O K U M E N T A T I O N

Im Sommer brachte die ARD-Sendung „Kontraste“ Interviews mit Skins in der DDR und löste damit heftige Reaktionen in der DDR aus, vor allem beim 'Junge Welt'-Chef-Redakteur Schütt. Er hatte sich schon im Zusammenhang mit dem Skin -Überfall auf die Zionskirche im letzten Jahr als Hardliner erwiesen und in einem umstrittenen Kommentar Zusammenhänge zwischen neonazistischen Skins und Oppositionsgruppen konstruiert (vgl. taz v. 5.1.88). Nach der ARD-Sendung griff er noch einmal tief in die ideologische Mottenkiste (d.Red.).

(...) Nun wäre das kein Gegenstand der Erörterung anläßlich einer verleumderischen Sendung im Westfernsehen (die werden nicht aus Liebe zu uns bezahlt), wäre in besagter „Reportage“ nicht auf besonders infame Weise versucht worden, einen Keil zwischen Sozialismus und Antifaschismus zu treiben.

Sergej Eisenstein, der sowjetische Meisterregisseur, nannte einmal die Montage das „Kernstück zur filmischen Erzeugung von Wahrheit“. Im ARD-Bericht wurde die Montage ein Kernstück zur filmischen Erzeugung von Lügen. Man sieht Erich Honecker bei einer Rede in Brandenburg-Görden, hört seine Worte: „Heute wie damals lautet der Schwur: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ Schnitt: Mit verzerrter Stimme kommentieren wer weiß wo aufgegabelte „DDR -Jugendliche“, die sehr stark nach der Kategorie „gutbezahlte Kleindarsteller der BRD-Medien“ riechen, eine angeblich sozialistische Wirklichkeit, die sich nach BRD -Lesart in ihrem Wesen in nichts von dem unterscheidet, was auch in der BRD bei vielen Jugendlichen zu „persönlicher und gesellschaftlicher Frustration“ führt.

(...) Wir wissen, daß unsere mit vollem geschichtlichem Recht so wohlbeschützten Grenzen uns von einem System trennen, in dem eine Tradition ungebrochen lebt, welche sich in jener Freiheit entlarvt, die sie Majdanek-Mördern schenkt und die sie jenen beschneidet, die in Bergen-Belsen um eine Anne-Frank-Straße kämpfen. Welcher deutsche Staat hat denn bis auf den Punkt mit denen abgerechnet, die Blut oder tödliche Tinte an den Fingern hatten?

Die DDR.

Und wo gibt es, wie der Filmregisseur Wolfgang Staudte einmal fragte, „eine schamlose Tendenz nach rechts und ein fast selbstverständliches Schlagen nach links“?

(...) In der BRD, in Berlin (West).

Gerade das will der Gegner suggerieren: daß Faschismus auch in unserer Gesellschaft nach wie vor latent vorhanden sei. Die DDR-Wirklichkeit aber ist anders. Dennoch wird es kein Pardon für Hakenkreuz und Hitlergruß geben, wenn Unkenntnis, Leichtsinn oder Rowdytum damit kommen. Ebensowenig, wie der Faschismus bei uns gesellschaftlichen Boden hat, werden wir automatisch davor geschützt sein, daß er als ideologische Konterbande herübersickern will. An dieser Front darf keiner den andern allein lassen, die Eltern nicht die Kinder, die Großeltern nicht die Enkel, der Meister nicht den Lehrling, der Gewerkschafter nicht den FDJ-Sekretär, der Künstler nicht den Mann in Uniform.

Die gezeigte Strenge des Gesetzes gegen Skinheads ist Beleg dafür, daß die DDR in strikter Wahrung des Vermächtnisses des antifaschistischen Widerstandskampfes keinerlei Signal neonazistischer Entgleisung, in welcher Form auch immer, zuläßt. Beweist allein die Tatsache von Prozessen in mehreren Städten der DDR den himmwelweiten, oder sagen wir besser: systemweiten Unterschied in der Behandlung solcher Fälle in der DDR und in der BRD, so spricht andererseits die öffentliche Betroffenheit über die Skinhead-Prozesse davon, mit welcher Aufmerksamkeit in unserem Lande, mit welchem Gerechtigkeitsgefühl und mit welchem Sachverstand viele Menschen an der Vervollkommnung mittragen.

(...) Freilich, wer partout nicht will, wird stets die Strenge des Gesetzes spüren, heute wie in Zukunft. Der Staatsanwalt ist der letzte Schritt. Davor liegen andere, die bei uns immer mit dem (für BRD-Verhältnisse sensationelles) Nachdenken darüber beginnen, mit welcher Konsequenz im Alltag der Familie und des Freundeskreises, im Alltag sozialer und politischer Kommunikation jeglichem schädlichem Einfluß auf Denken und Fühlen gerade junger Menschen mit noch größerer Wachheit und Sensibilität entgegengearbeitet werden kann, wie Antifaschismus als Einheit von Wissen und tiefer Empfindung gelehrt und vorgelebt wird, um stets den ganzen Menschen gegen ein Gift immun zu halten, für das auf dem Boden der DDR kein entsprechender Sumpf mehr vorhanden ist.

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