Projektionen-betr.: "Geschichten von den bösen Müttern", taz vom 5.9.88

Betr.: „Geschichten von den bösen Müttern“,

taz vom 5.9.88, S.9

Bei diesem anregenden Artikel über eine interessante und engagierte Frau und ihr Buch möchte ich mich ausdrücklich nur auf einen Punkt beziehen, den Sie auch im Titel aufgreifen: „Geschichten von den 'bösen‘ Müttern.“ Provokatorisch möchte ich fragen: wird durch die Anführungsstrichelchen und durch die Deutung von Frau Langer, das baby-bratende Dienstmädchen stelle die kannibalischen Wünsche des Babys (!) dar, nicht die böse Seite der realen Mutter verleugnet? Langer schreibt doch auch, daß in der Oberschicht all die Aggressionen am Personal abgelassen werden konnten, die „den eigenen Müttern niemals gezeigt werden dürfen(!).“ Wenn es „gerüchtebedingte“ - ich würde sagen archetypische oder in Mythen vergegenständlichte - Bilder von guten und bösen Müttern gibt, dann eben nicht, weil angeblich Babies projizieren, sondern weil es in jedem Menschen diese beiden Seiten gibt, also auch in Frauen und Müttern. Möglicherweise zeigt die Geschichte vom gebratenen Baby eine Menge von dem unbewußten Haß auf das „fordernde“ Baby, wie wir ihn auch bei uns beobachten können, wenn - wie kürzlich in der Zeitung zu lesen - eine Mutter ihr Kind im Wäschetrockner rotieren läßt. Hier wünschte ich mir von der Frauenseite mehr Auseinandersetzung mit sich selbst. (Von der Seite?! Doch wohl von den Frauen bzw. Autoren/innen, die diese Seite machen! d.sprachbewußte S.in, die Sprache als Ausdruck der dahinter verborgenen Einstellung sieht) Projektionen auf hilflose und naturgemäß „fordernde“ Babies helfen wieder Müttern (noch Vätern), sich mit ihren eigenen dunklen und bösen Seiten auseinandersetzen.

J. Burkart, Berlin