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IRISCHE SCHWEINEBACKEN

■ „Pigs“ von Cathal Black

Ein Auftakt nach britischem Riot-Maß: Straßen in Flammen, ein brutzelndes Autowrack, dumpfe Rauchschwaden über Ruinen und die internationale Hymne zwischen Brixton und Berlin jault lalülala. Unwillkürlich zucken Schreckensbilder a la Sammie und Rosie durchs Gehirn, Kitschaufnahmen von der überkandidelten Revolte, zuckersüß schmonzig totstilisiert. Doch trotz Inszenierung und Dekor wirkt bei Pigs dieser Anfang weder gekünstelt noch steril, Regisseur Cathal Black registriert, und was da brennt, ist die Wirklichkeit.

Eine Gestalt schleicht entlang der Feuer durch die nächtlichen Straßen Dublins und steuert unbeirrbar ihr Objekt der Begierde an, ein Brecheisen genügt, und das Ding ist geritzt. Als Thriller aufgemacht und unspektakulär zugleich, besetzt Jimmy im Alleingang ein Haus, Squatting als ein Akt puren Überlebens ohne großen Weltaufstandsplan; es geht darum, seine Haut an einen Ort zu retten, der abgeschottet ist von der Scheißwelt draußen - jede Illusion ist legitim, solange sie funktioniert.

Jimmy kloppt die Verschläge von den Fenstern, Sonnenlicht pumpt Leben in die verfallenen Gemäuer, auf dem Bett breitgemacht lauscht er Opernarien. Ein Moment kurzen Glücks, bis er dann mit mürrischem Gesicht, bereits den Anfang vom Ende ahnend, dem ersten Eindringling in seinem Idyll gegenübersteht: George bezeichnet sich selbst als „Geschäftsmann“, dementsprechend zwiespältig ist seine Erscheinung; vergebens versucht er sein verwahrlostes Fertigsein mit einem Hauch von Weltmanntum zu übertünchen. Das steht ihm ebenso schlecht wie seine Angewohnheit, Unterhosen im Kochtopf neben Schweinshaxen zu waschen. Aber Jimmy, selbst völlig ausgebrannt, Frau weg und Job los, hält einiges auf die Solidarität der Verlierer, und so macht George es sich gemütlich.

Jimmy Brennan, der das Drehbuch zu Pigs geschrieben hat, hätte als Vorlage für den Hauptdarsteller keine bessere Person erfinden können als sich selbst; er spielt keine Rolle, sondern veranschaulicht Erfahrungen, die er selbst durchgemacht hat, und das ist ihm ohne Zögern abzunehmen. Bald ist das Haus voll, und aus ist es mit dem „Home sweet home“: den paranoiden Tom, der nach einer E-Schockbehandlung in der Anstalt aufgeschmissen ist, sammelt er von der Straße auf, dazu gesellt sich der Drogendealer Ronnie, Typ durchtriebene Ratte, der auf Nummer sicher gehend sich auch als Bullenspitzel verdingt und zu guter Letzt fahren noch der Zuhälter Orwell und seine Nutte Mary im Taxi vor und nisten sich ein.

Dröhnend laute Musik ist sehr schnell das kleinere Übel, das Jimmy jeden Schlaf raubt. Da tröpfelt plötzlich Pisse durch die Decke, man prügelt und betrügt sich um die wöchentlichen Schecks der Wohlfahrt. Eine Art Zusammenleben kann gar nicht passieren, keiner von ihnen guckt über den eigenen Tellerrand, den Schädel voller Probleme und Panik, wie es mit ihnen weitergeht, wollen sie nur Ruhe voreinander haben, und da dies nur selten möglich ist, reiben sie sich wie die Schweinebacken gegeneinander - ganz so, wie sie es draußen gelernt haben, und deshalb kann man es ihnen nicht einmal besonders krumm nehmen. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis Blut fließt, die Gewalt ist vorprogrammiert: Jimmy wird von einer Horde Skins in seinem Zimmer übel verdroschen, während die anderen nur blöde und feige glotzen. Und als dann auch noch Ronnie von den Bullen hochgenommen wird und plaudert, dauert es nicht mehr lange, bis die Ratten eine nach der anderen das sinkende Schiff verlassen. Übrig bleibt nur Jimmy, aber das künstliche Paradies ist verloren: „Never mind pigs!“

Andreas Döhler

Eiszeit-Kino, Do.-Sa. um 21 Uhr.

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