Sam Spade bei Karsstadt

■ An der Kasse vorbei, Di., 13.9., ZDF

Mein Name ist Sterzel, ich bin Kaufhausdetektiv und liebe meinen Beruf. Die ZDF-Reportage „An der Kasse vorbei“ hat mir gefallen, denn endlich wurde der Komplex Ladendiebstahl mal aus unserer Sicht gezeigt. Das fing schon mit dem Salzstreuer für Dreimarkfünfundneunzig an, den eine alte Omi mitgehen ließ, was aber den aufmerksamen Kollegen nicht entging, in deren Windschatten das Fernsehteam segelte. „Sagen Sie mal, warum haben Sie das genmacht?“, fragten sie die Omi. „Das will ich Ihnen mal ehrlich sagen“, antwortete sie, „das weiß ich gar nicht.“ Wenn die alten Leute wüßten, daß wir sie ab siebzig gar nicht mehr anzeigen, würden sie beim Klauen wahrscheinlich noch viel mehr riskieren.

Mit dem Film konnte ich mich identifizieren, denn das Auge der Kamera war das Auge von Argus überm Wühltisch, also meins. Das wachsame Schnuppern, ob vielleicht jemand seine alten Latschen ins Regal stellt und mit Designerschuhen von dannen geht, dann das jägerhafte Anschleichen an die Beute, also an den Dieb, schließlich der Triumph beim Zupacken. Eigentlich sind das Momente, wo wir uns den Klauern innerlich verbunden fühlen, denn niemand kennt ihre Empfindungen so wie wir. Oft sitze ich im ViedeoÜberwachungsraum und beobachte, wie einer mit sich ringt, ob er nun von der Compact-Disc das Magnet-Etikett abziehen oder das Ding in einer mitgebrachten Hülle verschwinden lassen soll oder was. Dann spreche ich ihm Mut zu und murmele „Na los, Du Feigling, mach schon!“, und spüre dabei, daß er und ich, wir beide, zu den letzten Jägern und Fallenstellern gehören, immer auf der Lauer, immer auf der Pirsch. Ja, wir sind die letzten Mohikaner unseres hochtechnisierten Konsumjahrhunderts. Klauen ist strafbar und unredlich, aber nicht schlimm. Alle klauen, arm und reich, alles wird geklaut, Eierlöffel und Perserbrücken. Da gibt es den sportiven Klau, den Erlebnis-Klau, den Kleptomanen-Klau, den Profi-Klau oder den Kavaliers-Klau, um nur einige, aber nicht alle zu nennen. Schließlich werden pro Jahr Werte von drei Milliarden Mark abgegriffen, und an diesem Umsatz hängt auch mein Broterwerb.

Toll finde ich es immer, wenn eine 17jährige Schülerin Reizwäsche stibitzt, mir mit hochrotem Kopf ins Netz gerät und ich in tiefem Tremolo sagen darf: „So, dann komm jetzt mal mit mir mit in den ersten Stock!“ Ich unterhalte mich immer gern mit Dieben. Ich laße mir genau ihre Methoden erklären. Ich höre mir ihre Geschichten an, ihre phantastischen Ausflüchte, denn das gibt mir die Menschenkenntnis, die ich für mein berufliches Fortkommen brauche. Es ist nämlich so, ich möchte mich selbständig machen. Wie der junge Schnauzbart vorgestern im Fernsehn, der auch jahrelang als einfacher Kaufhausdetektiv malocht hat, bis er auf die Idee kam, selbst lLadendieb zu werden. Ladendieb im Auftrag der Geschäftsleitung, um die Wachsamkeit der Detektive zu überprüfen! Denn der Test-Dieb ist die vollendetste Form des Kaufhausdetektivs und zugleich dessen Umschlag ins Gegenteil. „Unternehmensberatung“ nannte es der Schnauzer, als er bei einem einzigen Streifzug Waren im Wert von 7000 Mark aus dem Kaufhaus räumte und nachher das ganze Personal zusammenscheißen durfte, weil niemand nichts gesehen hatte. Mich wundert das nicht, denn erstens sind die elektronischen Diebstahlsicherungen sowieso meist kaputt oder nerven mit falschem Alarm, und zweitens klaut das Personal genauso eifrig wie die Kundschaft. Einmal lag ich sogar sechs Stunden lang im Lüftungsschacht über der Kasse, bis ich die Verkäuferin beim Geldgreifen erwischt hatte. Alles ist eben am Fließen und am Schwinden, und deshalb liebe ich meinen Beruf.

Micky Remann