: Jetzt bleibt nur noch Dornkaat
Badeverbot auf Norderney und Juist kam zum Ende der Saison / Sofortmaßnahme: Klotüren auf Fährschiffen abgeschlossen / Fäkalien-Pipeline vom Fährschiff zur Kläranlage geplant / Kurverwaltung macht sich keine Sorgen ■ Von Norderney M.Weisfeld
Die Möwen an der Strandpromenade sind zutraulich wie Großstadthunde. Sie legen sich in den steifen Nordwestwind und blicken erwartungsvoll in den dünnen Strom der Kurgäste. Wenn endlich ein Brocken Brot in die Luft geworfen wird, zeigen die Möwen ihrem Publikum, wie zielgenau sie fliegen und schnappen können.
Doch der Mensch dankt's ihnen schlecht: Silbermöwen seien schon von je her Salmonellenüberträger gewesen, sagt zum Beispiel Kapitän Willi Martens, der die Kurgäste in riesigen Gruppen durchs Watt führt und deshalb eine Person des öffentliches Lebens ist. Es hätten schon Kühe geschlachtet werden müssen, weil sie mit dem Gras soviel Möwenkot gefressen hätten, daß ihre Milch verseucht war. Seemannsgarn? Soviel ist sicher: Die Salmonellen, die in den vergangenen Wochen und Tagen an den Stränden der Inseln Juist und Norderney, aber auch am ostfriesischen Festland gefunden worden sind, gedeihen nicht in den Därmen von Möwen, wohl aber in denen von Menschen. Die „salmonella typhimurium“, die dort in einer Konzentration von bis zu 1.000 Keimen pro Liter im Meerwasser schwimmt, kann Paratyphus erregen.
Die Herkunft der Salmonellen ist noch nicht geklärt. Ins Visier der Norderneyer Kurdirektion sind die Klos auf den Fährschiffen geraten, die zwischen dem Festland und den Inseln pendeln. Paul Schild von der Kurverwaltung Norderney legt den Finger auf die Seekarte: „Wenn hier die Fäkalien verklappt werden, dann treiben die Salmonellen mit dem Ebbstrom und dem Westwind genau dahin, wo sie auch gefunden worden sind: zwischen unserem Nordstrand und dem vorgelagerten Riff.“ Das „Verklappen“ seiner Fäkalien besorgt der Kurgast auf dem Fährschiff selbst, mittels Wasserspülung. Wie bei der Eisenbahn geht die Scheiße ohne Zwischenlager außenbords. Dabei sind auf einigen Schiffen erst vor zwei Jahren vorsorglich Fäkalientanks eingebaut worden. Nur benutzt werden sie bis heute nicht. Das soll in den nächsten Monaten nachgeholt werden. Zum Ende des Jahres werden alle Schiffe umgerüstet sein. Von da an sollen die Tanks in den Häfen leergepumpt werden und die Scheiße durch eine unterirdische Pipeline in die Kläranlagen strömen.
Eine Sofortlösung hat sich Kapitän Fred Meyer von der Baltrum-Fährlinie einfallen lassen: Auf seinen Schiffen sind die Klotüren seit dem vergangenen Sonntag abgeschlossen. „Nur in dringenden Fällen“ gibt das Personal den Schlüssel heraus.
Oswald Kleemann, 68jähriger Rentner aus Wuppertal, reist mit der „Frisia I“ nach Norderney. „Mit gemischten Gefühlen“. Er habe nicht rechtzeitig umbuchen können und wolle nach diesem Besuch nie mehr wieder kommen. Er gehe ja nicht mehr ins Wasser, sagt er, „aber die Augenweide, wenn die jungen Leute in die Brandung gingen, das war immer interessant“. Seine Augenweide muß sich Kleemann jetzt im Meerwasserschwimmbad verschaffen. In dem gechlorten Wasser kann man kostenlos baden, seit es am Strand verboten ist.
Offiziell macht sich die Kurverwaltung der Insel keine Sorgen ums Touristengeschäft. „Jetzt ist Nachsaison, da kommen an den Wochenenden die Kegelvereine, die baden sowieso nicht“, sagt Paul Schild. Zu Weihnachten und Neujahr ist dann wieder Hochsaison. Die „Bückeburger Jäger“ spielen dann traditionell im „Haus der Insel“. Die nächste Welle sind die Rheinländer, die vor ihrem heimischen Karneval in die relative Ruhe Norderneys fliehen. Kongresse und Tagungen übers ganze Jahr sind die Grundauslastung der Insel: die Architektenkammer Nordrhein- Westfalen, Krankenhausdirektoren aus der ganzen Bundesrepublik und ähnlich illustres Publikum.
Sorgen machen sich dagegen die Zimmervermieter. Franz Welfers hat vor 16 Jahren seine Gastwirtschaft im sauerländischen Lüdenscheid verkauft. Seine Pension und Gaststätte auf Norderney lief gut - bis zu diesem Jahr. „Leute, die Zimmer bestellt hatten, haben abgesagt oder sind einfach nicht gekommen. So was gab's noch nie“.
Für Käpt'n Willi, den Wattenführer und Liebling der älteren Frauen, sind die Salmonellen eine Randerscheinung, nur das vorläufig letzte Glied in einer langen Kette. In den zwanziger Jahren hat er noch Delphine gesehen, und das Wasser im Fischereihafen war klar. Doch in den letzten Jahrzehnten ging es Schlag auf Schlag: Ölpest, Muschelvergiftungen, Seehunde mit eiternden Wunden, die nicht mehr heilten. Seinen Fischkutter hat Willi Martens schon verkauft, als „die Fänge immer mickriger“ wurden. Daß man bald nirgendwo mehr in der giftigen See baden kann, sieht er kommen. „Meine Enkel werden hier wohl keine Zukunft mehr haben.“ Vom Tourismus lebt auf der Insel fast jeder. In den Festlandgemeinden Norden und Norddeich ist das nicht viel anders. Der nächste große Arbeitgeber ist 35 Kilometer entfernt: das VW-Werk in Emden. In Norden gibt es nur noch einen Industriebetrieb: Die Schnapsbrennerei Dornkaat.
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