: Kontroverse um Begnadigung ehemaliger RAFler
Die mögliche Begnadigung der ehemaligen RAF-Mitglieder Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock durch Bundespräsident von Weizsäcker entfacht Debatte / Politiker aus CDU, CSU, SPD und FDP melden sich zu Wort / Angehörige von Opfern nehmen Stellung ■ Von Max Thomas Mehr
Berlin (taz) - Die mögliche Begnadigung der zu lebenslanger Haft verurteilten früheren RAFler Peter-Jürgen Boock und Angelika Speitel durch Bundespräsident von Weizsäcker gerät zunehmend in die politische Diskussion. In kontroversen Stellungnahmen äußerten sich dazu Politiker aus CDU, CSU, SPD und FDP. Unterschiedlich berurteilt wird eine mögliche Begnadigung auch von den Angehörigen der Opfer. Hilde von Braunmühl erklärte in einem Zeitungsinterview, einerseits sollten die RAF-Gefangenen ihre gerechte Strafe erhalten, andererseits sich von ihrem Weg der Gewalt lösen können. Sie wisse, wie schwer das sei: „Wenn einer das geschafft hat, dann soll das auch anerkannt werden.“ Mit den Brüdern ihres Mannes habe sie Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock in der Vergangenheit mehrfach besucht. „Wir sind überzeugt, daß diese beiden Personen sich glaubhaft von der RAF gelöst haben. Wir sind froh und haben große Achtung davor, daß der Bundespräsident sich mit seinen Besuchen vorgenommen hat, persönlich zu prüfen, ob Boock und Speitel die Voraussetzungen für eine Begnadigung erfüllen“.
Frau Schleyer erklärte in einem anderen Gespräch: „Daß ich befangen bin, ist klar, denn beide waren ja unmittelbar an der Ermordung meines Mannes beteiligt. Ich könnte jetzt auch in Nächstenliebe und Humanität tun, aber das liegt mir nicht. Ich sage klar: Das Ganze ist für mich unfaßbar, es geschieht alles sehr früh. Ich glaube nicht, daß eine Begnadigung auf den harten Kern der Terroristen Eindruck machen würde. Ich verstehe darum auch nicht, wieso unser Staatsoberhaupt - sicher, es mag mit christlicher Nächstenliebe zusammenhängen - mit einer demonstrativen Geste ein versöhnliches Signal für die Terroristen geben will. Ich sinne nicht auf Rache, aber ich begreife das einfach nicht.“
Aber auch die Betonriege innerhalb der Unionsparteien hat sich in den vergangenen Tagen vehement zu Weizsäckers möglichem Gnadenakt geäußert. So hat Strauß erklärt: Wir halten eine solche Begnadigung für völlig unangebracht. Die „angeblich beabsichtigte Entlassung von zwei Mördern würde das Rechtsbewußtsein erschüttern. Für die Vernichtung von Menschenleben müsse eine Sühne geleistet werden und das Begnadigungsrecht dürfe nicht willkürlich opportunistisch ausgelegt werden“.
Unverhohlen gedroht hat Deutschlands oberster Ankläger, Generalbundesanwalt Rebmann. In einem kleinen Kreis soll er sich vehement gegen einen solchen Gnadenakt ausgesprochen haben. Er werde eine Begnadigung der beiden „Top -Terroristen“ nicht sang- und klanglos hinnehmen. Der CDU -Politiker Heinrich Lummer, berühmt berüchtigter Ex -Innensenator in Berlin, hat hingegen in der vergangenen Woche mit Peter-Jürgen Boock im Fernsehen über dessen Buch „Abgang“ diskutiert und ist zu diesem Zweck mit einem Fernsehteam des WDR in die Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel angereist. Einer Münchner Zeitung sagte er, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß Terroristen besser behandelt werden als andere. Der Gleichheitsgrundsatz müsse gewahrt sein.
Die FDP-Politiker Baum und Kleinert begrüßten die Initiative Weizsäckers. So sagte Baum, in dessen Amtszeit als Innenminister Boock und Speitels Verhaftung fallen, er begrüße es ausdrücklich, daß Weizsäcker mit allen Beteiligten sprechen, sich intensiv beraten und dann über die Begnadigung entscheiden wolle.
Auch der frühere Bundesjustizminister Schmude (SPD) hat die Überzeugung geäußert, der Bundespräsident werde bei der Entscheidung über eine Begnadigung von Angelika Speitel und Boock richtig handeln.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete wandte sich dagegen, „bei früheren Terroristen andere Maßstäbe anzulegen als bei sonstigen Straftätern“. Schmude unterstrich, es müsse auch hier der Einzelfall geprüft werden. Kommentar Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen