: Keine Fackel für den Norden
■ Der Glanz der Olympischen Spiele fällt allein auf Südkorea / Stillhalteabkommen Regierung-Opposition
Rund eine Million Deutsche haben bei ihrem Arbeitgeber Olympia-Urlaub beantragt, um auch ja nichts zu verpassen. Allein bei VW in Wolfsburg werden 3.000 Leute weniger an den Bändern stehen. Und noch nie, so haben die Tübinger Wickert -Institute herausgefunden, war das olympische Fieber bei uns so heiß wie diesmal: 77 Prozent sind „interessiert“. Vor vier Jahren in Los Angeles waren es erst 71 Prozent, davor in Moskau 69 Prozent. Rekorde schließlich nicht nur bei den Sesselhockern: Knapp 10.000 Athleten aus 161 Ländern gehen an den Start, 237 Wettkämpfe gibt es in 23 Sportarten. Dazu kommt eine Premiere: Mit der Teilnahme von Steffi Graf und ihrer Tennisprofi-Kollegen ist das seit langem ausgehöhlte Amateur-Ideal auch ganz formell zu den Akten gelegt.
Vom checkpoint 5 aus reicht der Blick gut fünfzehn Kilometer hinüber nach Nordkorea; er bleibt hängen an der scharfkantigen Silhouette einer gezackten Bergkette. Dort, wo diese gen Westen hin etwas abflacht, sollten am 27.September Radfahrer auftauchen. Sie hätten sich dann weiter Richtung Süden bewegt, immer dem highway 1 folgend.
Der Spitzenreiter im olympischen 100-km-Rennen würde dann in die vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone einbiegen, vorbei am „Friedensmuseum des Volkes“ und begleitet von Musik und Lobgesängen auf Kim Il-Sung, die hier Tag und Nacht aus großen Lautsprechern Richtung Süden schallen. Nun müßte er vorsichtig sein: Der Belag ist zu schlecht für die dünnen Reifen eines Rennrades; seit Jahrzehnten führt schließlich kein Verkehr mehr über den Steg, der hier Nord- und Südkorea verbindet, und den die Amerikaner die „Brücke ohne Wiederkehr“ nennen.
Es ginge dann etwas aufwärts, vorbei an hellgrünen Reisfeldern, und nun könnte der führende Fahrer getrost vom Rad fallen, ohne viel Zeit zu verlieren: Hier ist ein Spezialkommando der US-Army stationiert, das in neunzig Sekunden kampfbereit ist („Yes Sir, Tag und Nacht, Sir“) und ihn in Windeseile wieder auf den Sattel setzen würde. Unser Radfahrer hätte nicht einmal, wie die sonstigen Besucher des 38.Breitengrads, unterschreiben müssen, daß er selbst die Verantwortung trägt für Leib und Leben „in case of enemy action“ (obwohl hier nie etwas passiert); auch der Dia -Vortrag über die Gefahren des Kommunismus von specialist Dale Adkison, der hier die Freiheit verteidigt, bliebe ihm erspart. „Warum um Himmels willen haben Sie sich freiwillig hierher gemeldet?“, hätte er den fragen können, und zur Antwort bekommen: „Sir, ich wollte endlich einmal kommunistische Soldaten sehen, Sir.“
Weiter wäre die Fahrt Richtung Seoul gegangen, durch Minenfelder und Panzerwälle, nun auf einer vierspurigen Autobahn. Wenig später das Ziel, seit Wochen steht hier eine Tribüne mit Blumenschmuck.
Doch dieses Radrennen von Nord nach Süd wird nicht stattfinden, und wer die Grenze in Panmunjom je besucht hat, der muß am Verstand jener Olympier zweifeln, die es für möglich hielten. Gedacht war es ursprünglich als Klammer, um ein Auseinanderbrechen der olympischen Bewegung durch einen weiteren Boykott zu verhindern, nach Moskau und Los Angeles; später blieb es Manövriermasse in der olympischen Diplomatie.
Bereits am 30.9.1981 hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf seiner 84.Session in Baden-Baden der Stadt Seoul die Spiele für 1988 übertragen. Schon bald meldete Nordkorea den Anspruch an, beteiligt zu werden. Doch im Blickpunkt stand erst einmal Los Angeles '84, dem die sozialistischen Länder fernblieben. Im Jahr darauf begann endgültig das Gerangel um Seoul. Die 90.IOC-Session im Juni wurde nach Ost-Berlin gelegt und dem Eben-noch-Boykotteur Erich Honecker feierlich der olympische Orden in Gold umgehängt. Der erklärte dankbar, was das IOC hören wollte: Die DDR sei bereit, an den nächsten Spielen teilzunehmen. Seoul, mit einer 30köpfigen Delegation anwesend, gab die Zusicherung, auch Sportler aus Ländern, mit denen man keine diplomatischen Beziehungen habe (wie China, die UdSSR und DDR), könnten ohne Visum einreisen.
Nordkorea trat mit der Forderung nach der Hälfte der Wettbewerbe auf den Plan, was Südkoreas Sportminister Park Seh-Jik brüsk zurückwies. Jede Teilhabe des Nordens, sagte er bei einer IOC-Sitzung im April 1985, sei „völlig indiskutabel“. Doch das IOC tat alles, um einen vor allem von Kuba forcierten Boykott zu verhindern, und machte nach Verhandlungen mit beiden Teilen Koreas ein konkretes Angebot: Der Norden solle das Bogenschießen, Tischtennis, Volleyball (Frauen), die Fußball-Vorrunde und besagtes Radrennen veranstalten.
Damit verstieß das sonst so penible IOC zwar gegen die eigenen Bestimmungen, die Olympia eindeutig nur einer Stadt zuweisen, doch der Süden willigte ein. Nordkorea aber wollte co-host sein, Mitgastgeber. Und nun folgte eine Meldung über Treffen, Angebote, Ablehnungen und Statements der anderen.
Wichtiger als das offizielle Dreier-Ping-Pong waren zwei Fernostreisen: Im März '87 bekam Seoul Besuch vom Chef des Nationalen Olympischen Komitees der DDR, Manfred Ewald, und im gleichen Monat sagte Volkskammerpräsident Horst Sindermann in Tokio: „Wir werden nicht nur dabei sein, sondern auch eine Reihe von Goldmedaillen nach Hause nehmen.“ Kubas Boykottbemühungen waren ausgehebelt, auch bei China und der UdSSR.
Zu sehr war man daran interessiert, nicht durch weitere olympische Abstinenz die eigenen Sportler zu entmotivieren. Und an dem Ansinnen von Nordkorea, ernsthaft als Ausrichter aufzutreten, gab es gute Zweifel. Pjöngjang, Nordkoreas Hauptstadt, bislang nach außen abgeschottet, hätte sich für Tausende Sportler wie Presseleute öffnen müssen, ein Vorgang, den sich die Hongkonger 'Far Eastern Review‘ nur „in einem Opiumrausch“ vorstellen konnte.
Nervös gemacht wurden IOC-Funktionäre zu dieser Zeit nur durch die innenpolitischen Ereignisse in Südkorea. Bilder von prügelnden Polizisten und Massendemonstrationen gingen um die Welt, zwei Fußballspiele um den „Präsidenten-Cup“ mußten abgebrochen werden, weil Tränengas ins Stadion wehte. München und Los Angeles brachten sich als Ersatzstädte ins Gespräch. Doch der Wechsel im Präsidentenamt und die Aussicht auf Wahlen beruhigten die Situation.
Am 17.Januar 1988 war alles klar. Bis zu diesem Zeitpunkt mußten alle Länder die Einladungen des IOC formal beantworten, und Fidel Castro blieb der einzige aktive Boykotteur. „Die moralischen Grundsätze der Völker sind wichtiger als Goldmedaillen“, schrieb er ans IOC; Nicaragua, Äthiopien, Albanien und die Seychellen begnügten sich damit, gar nicht zu reagieren. Von den 167 Mitgliedern des IOC werden 161 an den Olympischen Spielen teilnehmen - ein neuer Rekord.
Auch der letzte Versuch einer Störung schlug fehl. Der „Bund gegen den Mißbrauch von Tieren“ blieb mit seiner Aufforderung ungehört, bei weiteren grausamen Behandlungen von Hunden und Katzen in Seoul den Spielen fernzubleiben. Und Pjöngjang will sich jedweder „enemy action“ enthalten, ganz offiziell. Dale Adkison wird am checkpiont 5 ruhige Tage verbringen.
Herr Thömmes
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