: Systemkritik auf DDR-Synode
■ Berichtsverbot für ARD und ZDF / Kirchenzeitung durfte nicht erscheinen / Erstmals genaue Gründe für Flut von Ausreisewilligen angegeben / Forderungskatalog vorgestellt
Dessau (ap) - Zensur und Informationsverbote haben die Synode der Evangelischen Kirche in der DDR am Wochenende bestimmt. Nachdem die DDR-Behörden den Korrespondenten von ARD und ZDF Berichte über die Beratungen der Synode in Dessau verboten hatten, wurde am Sonntag weitere Zensur bekannt: die neueste Ausgabe der sächsischen Landeskirchenzeitung 'Der Sonntag‘ durfte gar nicht erscheinen, die 'Mecklenburgische Kirchenzeitung‘ und das ebenfalls in Mecklenburg erscheinende 'Evangelische Amtsblatt‘ nur mit Einschränkungen.
In einem ersten detaillierten Bericht der Superintendentur der Berlin-Brandenburgischen Kirche über die seelsorgerische Betreuung von Ausreisewilligen wurden Reiseerleichterungen, mehr Transparenz und das Angebot von Gesprächen angeregt. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, daß die Kirche „weder Agentur für Ausbürgerung noch eine Beschwerdestelle“ sein könne.
In einem Neun-Punkte-Katalog werden die Gründe für den Wunsch benannt, der DDR den Rücken zu kehren. Kritisiert würden zu wenig Mitsprachemöglichkeiten und eingeschränkte individuelle Freiheiten und Möglichkeiten, sich kreativ entfalten zu können. Viele sehen „keine Aussicht auf konkrete Veränderung in Richtung auf mehr Vielfalt“. Beklagt würden weiter die Entmündigung und der „zu große Abstand zwischen Entscheidungsträgern und Bürgern“. In dem ersten Papier dieser Art ist auch die Rede von Benachteiligungen in Schule, Wissenschaft und Wirtschaft, wo nicht die Leistung, „sondern die politische Einstellung zum entscheidenden Maßstab gemacht“ würden.
Beklagt würden auch immer wieder „Mangelerscheinungen und Engpässe in der Wirtschaft, auch nach fast 40jährigem Bestehen der DDR. „Unerträglich“ sei für viele, daß in den DDR-Medien vor allem von Erfolgen die Rede sei, während die Bürger an ihren Arbeitsplätzen die „wirtschaftliche Misere“ kennen würden.
Ferner forderten Kirchenparlamentarier in Dessau die Einführung eines sozialen Wehrersatzdienstes.
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