: Stimmungsumschwung: Auf der Suche nach einem Modus vivendi
Innerhalb der Partei sind die Auseinandersetzungen um den Kurs gegenüber der Opposition noch nicht ausgetragen, Innenminister Kiszczak hat dies - so berichtet der Chef der Breslauer Solidarnosc, Frasyniuk - auch ganz offen zugegeben. Erst am Wochende wurden - wie schon bei den Maistreiks - die Bezirkssekretäre und die Leiter der ZK -Abteilungen nach Warschau beordert, um sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen, mit großer Wahrscheinlichkeit ging es dabei auch um den Rücktritt der Regierung, die Hoffnungen, die die Opposition mit diesem Rücktritt verbindet, sind indessen zwiespältig. Einerseits wurde die Regierung Messner von vielen nur als fauler Kompromiß zwischen Reformern und Konservativen angesehen. Andererseits halten viele zu Recht Veränderungen in der Parteispitze für wichtiger als in der Regierung. Schließlich sei es, so die Argumentation, die Parteispitze, die immer die letzte Entscheidung habe. In der Opposition sind daher auch Stimmen zu hören, die einen Regierungswechsel schlicht für ein Scheinmanöver halten. Gleichwohl ist klar, daß die Regierungsumbildung eine atmosphärische Veränderung darstellt.
Witzfigur wird
Respektsperson
Anderes ist in den letzten Tagen hinzugekommen. Angefangen bei den Nuancen in der Propaganda bei der Darstellung von Arbeiterführer Lech Walesa: Aus der verantwortungslosen Witzfigur, die ständig ihre Ansichten ändert und mit US -amerikanischem Geld ausgehalten wird, ist auf einmal ein ernst zu nehmender Verhandlungspartner geworden. „Seit 1982 haben sie ihn immer durch den Kakao gezogen, bei jeder Gelegenheit lächerlich gemacht. Und die gleichen Leute verhandeln jetzt mit ihm“, bringt es ein Redakteur der parteiunabhängigen Zeitschrift 'Res Publica‘ auf den Punkt. Tatsächlich ist Walesa in der Presse inzwischen zur respektablen Person geworden. Ende letzter Woche erschien in der Monatszeitung 'Reporter‘ ein langes Interview mit ihm. Noch vor kurzem hatte die Zensurbehörde ein Walesa-Interview des katholischen 'Tygodnik Powszechny‘ komplett kassiert.
Inzwischen darf Walesa sogar im staatlichen Rundfunk auftreten. Selbst die Parteizeitung 'Trybuna Ludu‘ schont ihn persönlich, Angriffe gibt es nur gegen seine Berater, besonders gegen die Lieblingsfeinde Adam Michnik, Jacek Kuron und Janzsz Onyszkiewicz. Die Taktik, die 'Trybuna Ludu‘ dabei verfolgt (guter Walesa, böse Berater), ist so durchsichtig wie erprobt: Walesa zu isolieren, um ihn leichter über den Tisch ziehen zu können. Zum anderen artikuliert das Parteiorgan jene Ängste, die in den Kreisen jener umgehen, die auch laut Kiszczak am meisten von einer Wiederzulassung von Solidarnosc zu befürchten haben: Polizei, Armee und die untere Parteihierarchie.
Unvergessen sind die Streikdrohungen aus der Solidarnosc -Zeit, die die Bestrafung von Parteifunktionären oder Miliz -Soldaten zum Ziel hatten, die sich Übergriffe haben zuschulden kommen lassen. Und unvergessen sind auch, was nach Verhängung des Kriegsrechts 1981 geschah, als Dutzende von Gewerkschaften überfallen, verschleppt oder auf geheimnisvolle Weise ermordet wurden. Nach Frasyniuks Darstellung hat Kiszczak am Freitag die Einstellung sämtlicher Repressalien gegen Arbeiter, die sich an den Streiks beteiligt haben, angekündigt. Zugleich aber wurde bekannt, daß Parteimitglieder in den Betrieben angewiesen wurden, jeden Versuch, Solidarnosc-Organisationen in den Betrieben zu gründen, der Staatsanwaltschaft zu melden.
Widerstand gegen Kiszczaks Linie kommt derzeit auch von den offiziellen Gewerkschaften. Sie vor allem seien bei den Gesprächen am Freitag gegen die Zulassung einer weiteren Gewerkschaft aufgetreten. Welche Linie in Staat und Partei zeitlich durchgesetzt wird, ist schwer vorauszusagen. Zugeständnisse von Seiten der Regierung betreffen im Moment vor allem Bereiche, die mit Solidarnosc nicht direkt zu tun haben. Zahlreiche unabhängige Initiativen, die sich - oft schon jahrelang - um ihre Legalisierung bemühen, sollen nun registriert werden. Politbüromitglied Jozef Czyrek, der schon vor der jüngsten Streikwelle für Konzessionen an die Opposition eingetreten war, kündigte für das nächste Jahr auch an, daß mehr Parteilose in Regierung, Sejm und lokaler Selbstverwaltung arbeiten sollen. Der Vorschlag, darüber hinaus eine zweite Parlamentskammer als Gegengewicht zu schaffen, besteht schon länger. Das allerdings, so heißt es in der Opposition, könne Solidarnosc nicht ersetzen.
Konkrete Zusagen gefragt
Professor Stelmachowski, kirchlicher Vermittler bei den Gesprächen zwischen Regierung und Solidarnosc, meint: „Was wir brauchen, ist ein konkrete Zusage zum Thema Solidarnosc. Das könnte die Regierung nur glaubwürdiger machen.“ Dahinter steht auch die Angst, die radikaleren Belegschaften und Streikkomitees in Schlesien und an der Küste könnten Walesa das Vertrauen entziehen, wenn die Verhandlungen zu lange dauern, oder ohne das gewünschte Ergebnis bleiben. Walesa hat schließlich seine Linie nur gegen erheblichen Widerstand in den eigenen Reihen durchsetzen können.
Und nach allem, was aus Kreisen der Verhandlungsdelegation nach außen dringt, ist er mit seiner Rolle selbst unzufrieden. „Wir brauchen dringend konkrete Veränderungen, die den Leuten zeigen, daß sich etwas tut“, meint Krzysztof Sliwinski, inoffizieller Solidarnosc-Sprecher. Die Aussichten dafür sind im Moment eher gering, was, so meint 'Res-publica'-Redakteur Tomasz Jastrun, daran liegt, daß die Bevölkerung müde und resigniert sei und keinen entsprechenden Druck ausübe. „1980 gab es stetigen Druck auf die Regierung: Demonstrationen, Aufrufe, Proteste, Petitionen, Forderungen, das fehlt heute. Diesmal haben wir nur den Druck der Streiks und es ist die Frage, ob der ausreicht.“ Die Leute wollten vor allem ihre Ruhe, so beschränken sich die Veränderungen bislang auf das Atmosphärische.
Offensichtliche Irritiation in der Zensurbehörde gehört dazu: Die Parteizeitung 'Polityka‘, von jeher Flaggschiff der Parteireformer und liberales Aushängeschild, druckte letzte Woche Interviews mit und Beiträge von Walesa -Beratern. Und die Monatszeitschrift der Krakauer Parteileitung, 'Zdanie‘, veröffentlichte in der neuesten Nummer ein langes Interview mit Stefan Kisielewski, der nach 1981 geschworen hatte, aus Protest nicht mehr zu schreiben. Zur Atmosphäre gehören auch Äußerungen führender Parteileute auf der einen und führender Oppositoneller auf der anderen Seite, die sich ähneln.
Walesa im 'Reporter‘ auf die Frage, ob jene Solidarnosc, die er heute anstrebt, die gleiche sein müsse wie 1980: „Soliodarnosc muß sein. Aber das heißt natürlich nicht, daß das eine Kopie von 1981 sein muß. Unsere Gewerkschaft wird dann imstande sein, nur rein gewerkschaftliche Aufgaben zu erfüllen, wenn es in größerem Ausmaß gesellschaftlichen Pluralismus gibt.“
Und ZK-Sekretär Jozef Czyrek auf die Frage, ob er sich eine Legalisierung von Solidarnosc als reine Gewerkschaft ohne politische Ambitionen vorstellen könne: „Sämtliche Richtungen der Gewerkschaftsbewegung, darunter auch die Richtung von Solidarnosc, können zur Erarbeitung eines neuen Modells der polnischen Gerwerkschaftsbewegung einen positiven Beitrag leisten.“ Beweglichkeit also auf beiden Seiten des „runden Tisches“? Jozef Czyrek: „Ich in überzeugt, daß wir auch in der Frage des Gewerkschaftspluralismus mit der Zeit einen Modus vivendi finden werden.“
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