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Mit sicherem Griff auf die Stadt

■ Kurz vor der IWF-Tagung sind in Berlin die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen der Nachkriegszeit angelaufen

„Die Sicherheit der Gäste ist gewährleistet.“ versicherte gestern Justizsenator Rehlinger. In der Tat: Für die 10.000 Banker und Politiker, die zur größten internationalen Tagung der Bundesrepublik anreisen, stehen 9.000 Polizeibeamte bereit. Zwar sollen laut Innenverwaltung die Einwohner West -Berlins so wenig wie möglich unter den Einschränkungen zu leiden haben, aber die alltäglichen Erfahrungen sprechen eine andere Sprache: Berlin ist eine Polizeifestung.

„Bundesrepublik unter Ausnahmerecht“, titelte die taz vor sechs Wochen und bezog sich damit auf die seit dem 20. Mai in der BRD und West-Berlin praktizierten Sonderkontrollen nach dem Anti-Terror-Paragraphen 111 des Strafgesetzbuchs. Seinerzeit bestritt die Bundesanwaltschaft (BAW) einen Zusammenhang der Kontrollen mit der nächste Woche in West -Berlin stattfindenden Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Obwohl Sonderkontrollen nach diesem Pragraphen nur unmittelbar „nach einem erfolgten Terroranschlag“ möglich sind und dann auch nur für einen begrenzten Zeitraum, begründet die BAW die nun seit vier Monaten praktizierten Sonderkontrollen mit „Haftbefehlen gegen Mitglieder der RAF aus dem Jahre 1985 und 1986“.

Vorsicht ist jetzt auch geboten, wenn man mehrere Tageszeitungen gleichzeitig am Kiosk begehrt. Über die Pressevertriebsgesellschaften in der BRD und West-Berlin hat das Bundeskriminalamt (BKA) Fahndungsaufrufe verteilen lassen. Besonders sollen die Händler auf Käufer mehrerer Tageszeitungen achten, zum Beispiel von FR, FAZ, Die Welt, SZ und der taz, „da Terroristen zur Vorbereitung ihrer Anschläge mehrere Tageszeitungen benutzen.“ Versehen ist das BKA-Rundschreiben -selbstverständlich - mit einem Fahndungsplakat der Gesuchten. „Von geplanten Terroranschlägen, der Anwesenheit oder Einreisen terroristischer Gewalttäter“ ist dem Senat nichts bekannt, verkündete Innensenator Kewenig dann allerdings auf einer kürzlich abgehaltenen Pressekonferenz.

Sammelleidenschaft für Daten

Damit dürfte klar sein, daß diese Sonderkontrollen sehr wohl im Zusammenhang mit der Tagung von IWF und Weltbank stehen. Landespolizeidirektor Kittlaus auf derselben Pressekonferenz: „Die Kontrollen nach Parargraph 111 werden wir fortführen“. Sprachs und machte einen Tag später den U -Bahnhof Gneisenaustraße zum Durchsuchungsschauplatz nach Paragraph 111. Was mit den dabei erhobenen Daten einiger tausend Bürger geschehe, will Kittlaus „der Bundesanwaltschaft überlassen“. Was mit den Daten all der Personen geschieht, die bei der „Antiimperialistischen Stadtrundfahrt“ kontrolliert wurden und werden, hat Kewenig bereits beantwortet: Sie werden mit anderen Dateien abgeglichen und wandern dann in eine der vielen Spezialdateien. In APIS oder PIOS, aber ganz sicher in den Meldedienst „Landfriedensbruch und verwandte Straftaten“.

Nicht nur mit den „Antiterrorkontrollen“, sondern auch mit zahlreichen Verkehrskontrollen im ganzen Stadtgebiet allein 93 am 9. und 10. September, bei denen 3.220 Personen überprüft wurden - will die Polizei Präsenz zeigen. Seit Wochen werden alle „gefährdeten Personen und Objekte, Hotels, Banken und Konzerne bis hin zu leeren Autos“ demonstrativ geschützt oder verdeckt überwacht.

Aktiv in Kreuzberg

Die Polizei verstärkt seit Wochen auch ihre Aktivitäten in Kreuzberg. Sieben Hausdurchsuchungen und 30 vorläufige Festnahmen im Zusammenhang mit der Weltbanktagung sind neben dem verstärkten Einsatz von „dem Milieu angepaßten Spitzeln“ zur „Vorfeldaufklärung“ nur einige Methoden, mit denen die Polizei „die Sicherheit der Tagung“ gewährleisten will.

Das alles kostet zusätzliches Personal. Weil 2.700 importierte Polizisten aus Westdeutschland offenbar noch immer nicht ausreichen, heuert die „Deutsche Wachgesellschaft“ mittels großer Anzeigen in der BRD noch zusätzlich Möchtegern-Rambos an: „Für Kongresse in Berlin suchen wir junge Leute als Mitarbeiter für Sicherheitsdienste. Beispielsweise für Aufgaben vom 15.9. bis 4.10. 1988 im Bereich Objekt- und Personenschutz“, heißt es in einer Anzeige in den 'Kieler Nachrichten‘. Voraussetzung: „guter Leumund“.

Berliner Großbetriebe verlassen sich anscheinend nicht allein auf die Polizei, sie treffen zusätzlich eigene Schutzvorkehrungen. Der High-Tech-Multi IBM am Ernst-Reuter -Platz ließ Listen der Autokennzeichen aller Mitarbeiter erstellen und läßt ab sofort alle Autos mit nicht bekannten Nummern „rigoros vom firmeneigenen Parkplatz abschleppen“.

Der Industrie- und Handelskammer und der Berliner Börse rät die Polizei, zusätzlich zu den von ihr getroffenen Maßnahmen eigene Sicherheitsvorkehrungen zu treffen: Schließung des Parkplatzes in der Nacht und Schließung der Eingänge sowie die Führung einer Besucherliste. Man fürchtet Autobomben oder Besetzungen.

Keine Kräfte

verschwenden

Bei so viel Personalsorgen der Staatsgewalt will auch die Justiz nicht abseits stehen und greift den geplagten Gesetzeshütern hilfreich unter die Arme. So hat der Amtsgerichtspräsident in einem Rundschreiben an die Vorsitzenden Richter schon im Mai „darum gebeten“, die Prozesse, in denen Polizisten als Zeugen auftreten, „nicht zwischen dem 19. und 30. September“ zu terminieren. In dem Zeitraum könnte es „zu Schwierigkeiten kommen“, da die Polizei zur „Jahrestagung von IWF und Weltbank“ alle Kräfte im Einsatz habe. Für den Vorsitzenden der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger, Hajo Ehrig, ist eine „solche Machenschaft eine Einflußnahme auf die richterliche Unabhängigkeit und der Versuch, den Justizablauf polizeilichen Lagen anzupassen“.

Nach dem Willen von Polizei und Senat gehört der City -Bereich in der nächsten Woche den Herren der Hochfinanz. Aber nicht nur Straßen, Firmen, Hotels und der Tagungsort werden abgesperrt und für den Bürger zeitweilig unpassierbar sein, auch seine kulturellen Bedürfnisse kann sich der Bürger für diese Zeit abschminken. Museen, wie das Ägyptische oder die Nationalgalerie und die Musentempel Philharmonie und Deutsche Oper sind für die Banker und „ihre Damen“ reserviert. Weil die New York City Bank der „Berlinischen Galerie“ unlängst 50.000 Dollar zum Ankauf von Bildern spendierte, dürfen die Banker die Galerie nun exclusiv und unter Ausschluß der Bürger besuchen. Der Merkwürdigkeiten nicht genug: Die Azubis des Hotel- und Gaststättengewerbes müssen so häufig für die Banker da sein, daß für sie vom 23. bis 30.9. die Berufsschule ausfallen muß.

Verkehr und Kultur nur für

Auserwählte

Der Flughafen Tegel kann nun mal nicht hermetisch abgesperrt und den an- und abfliegenden Bankern exklusiv überlassen werden. Aber auch hier fand die Polizei einen Weg, der den Bürger einschränkt und dem großen Geld Erleichterungen bringt. Vom Montag, dem 19. September, bis zum 1. Oktober wird die zentrale Vorfahrt des Flughafens für den gesamten Verkehr gesperrt. Die Haltestellen vor der Haupthalle und der Position 16 werden für diesen Zeitraum kurzerhand aufgehoben. Taxis können vorfahren, allerdings nicht alle. Zum Transport der Banker stehen nur ausgewählte Taxis zur Verfügung. Die Kutscher mußten sich frühzeitig für diesen Job beim IWF-Ausrichter bewerben und wurden sorgfältig vom US-amerikanischen FBI überprüft. Jetzt bekommen sie eine Plakette an die Windschutzscheibe und sind die einzigen, die zum Flughafen Tegel durchgelassen werden.

Am Flughafen, am Bahnhof Zoo und an den bundesdeutschen Grenzübergangstellen nach Berlin, ist für lückenlose Kontrolle aller Einreisenden gesorgt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei „Personen, die zwischen 20 und 35 Jahre alt sind“. Gewiß ein unvollständiges Potpourri über die Maßnahmen „zum Schutz der Tagung“, die laut Innensenator Kewenig als „Generalprobe“ dafür gelten soll, „ob Berlin auch als Tagungsort für Großveranstaltungen der Vereinten Nationen geeignet ist“.

Voraussetzung dafür ist, daß der Kongreß störungsfrei verläuft, denn das macht Eindruck bei der UNO, orakelte der Senator. Das Dementi auf die große Lippe, die der Senator da riskiert hat, kam prompt. Auf Anfrage der taz, bestritt ein Sprecher der UNO: „West-Berlin wird momentan für UNO-Treffen nicht in Betracht gezogen“. Entschieden verwahrte man sich auch gegen den politischen Propaganda-Coup von Kewenig: „Wir wehren uns gegen den Mißbrauch des guten Namens der UNO im Zusammenhang mit innenpolitischen Erwägungen“, hieß es dazu aus New York.

Sperrbezirk

Aber nicht nur in New York hält man des Senators Erzählungen für leeres Gerede. Auf Kreuzberger Bürgerversammlungen und dem Kiezpalaver rechnet man entgegen den Beteuerungen Kewenigs dennoch mit einer zeitweiligen Absperrung des Bezirks.

„Hier im Kiez bereiten wir uns auf die verschiedenste Weise gegen eine Einsperrung vor“, erklärt die VOBO-Initiative SO36. Und auf Postern an zahlreichen Häuserwänden kann man auch lesen: „Kreuzberg macht blau. Wir haben keine Lust, wegen Ausbeutern und Massenmördern in unserem Kiez eingesperrt und polizeilichem Terror unterworfen zu sein und dann auch noch malochen zu müssen. Stattdessen werden wir entweder auf die Straße gehen oder feiern und faulenzen“.

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