piwik no script img

MAN TRÄGT WIEDER GESCHICHTE

■ Modeschauen zwischen HdK und Interconti

Immer muß ich an Velazquez denken, während die Modeschauen in der HdK von Wolfgang Joops Meisterschülern und im Interconti die Gala des französischen Couturiers Jean Charles de Castelbajac vorbeidefilieren. In dem berühmten „Las Meninas“ (die Mädchen) aus dem Prado in Madrid steht in der Mitte des Raumes und des Bildes ein kleines Mädchen, die Infantin Margarethe, und spielt mit ihren Hofdamen und ihrem Hund, wie uns der Museumsführer weismachen will. Tatsächlich aber ist von kindlichem Spiel bei der Tochter Philipps IV. nichts zu spüren. Im Gegenteil, elegant neigen sich zwei ältere Hoffräuleins von rechts und links zu ihr herab, umrahmen sie so, und bilden noch einmal mit der Bewegung ihrer Körper die extreme ovale Form des Reifrocks der Infantin nach. Auch der Maler am Rande, ein Selbstporträt von Velazquez, die Aufsicht führende Hofdame und der im Vordergrund plazierte Lieblingshund dienen in ihrer Anordnung nur dazu, den Glanz, der von dem Königskind ausgeht, zu verstärken. Nur darum scheint es in dem Bild zu gehen. Nur hier ist das Licht, der Glanz, die Macht und vor allen Dingen die Pose. Die narzißtisch stolze Pose, die sagt, schaut her, schaut mich an... Und die weiß, das Auge des Betrachters ist der Spiegel, der wie im Märchen antwortet: ... die Schönste im ganzen Land.

Diese Pose wird in der Modenschau der HdK nicht eingenommen. Zwar ist die ganze Organisation verblüffend aufwendig, aber sympathischer - wie bedauerlicherweise fehlt den Studentinnen und Freundinnen der Studentinnen das nötige narzißtische Selbstbewußtsein zur Stilisierung der Pose. Statt dessen haben sie sich auf den objektiv greifbaren Teil in „Las Meninas“, die historischen Kostüme, gestürzt. In der HdK heißt es denn auch: „Man trägt wieder Geschichte“.

Viele der 26 Studentinnen, die bei Wolfgang Joop, dem Hamburger Modemacher, studieren, haben den postmodernen Vorschlag des historischen Zitats ein bißchen zu ernst genommen und Kostüme entworfen, die von den letzten Jahrhunderten nichts zu wissen scheinen. Plötzlich steht uns die Französische Revolution noch bevor und nicht deren 200. Geburtstag. Da werden schmale Mieder und Taillen geschnürt, weite Röcke bauschen sich und endlich kann die Schweizer Textilindustrie, der Mäzen des ganzen HdK-Projekts, einmal so richtig zeigen, was eine Schweizer Spitze ist. Farblich werden gedämpfte Töne bevorzugt, Altrosa, angegrautes Hellblau, Lindgrün und Aubergine finden sich in überlangen Jacken, Stulpenstiefeln, und Moiree-Bauschröcken wieder.

Eine andere Fraktion des Projekts hängt statt vergangenen Zeiten und höfischen Kostümen eher noch den eigenen Jungmädchenträumen nach. Da werden Röschen und Schleifchen und Rüschchen in Rosa, Orange und natürlich Pink über die romantischen Kleider verteilt, daß man meinen könnte, man sei in das Mädchenzimmer zwischen die Tagebücher und Ferienandenken eines amerikanischen Teens kurz vor dem College geraten. Was man bei diesen angehenden Modemacherinnen über weite Bahnen vermißt, sind klare Entwürfe. Es gibt kaum Konstruktionen, die nicht nur Farben, sondern auch eine Idee wagen. Eine Ausnahme macht da Birgit Schmidt. Sie weiß das mittlerweile auf allen Kanälen wiedergeborene Mittelalter nicht nur zu zitieren, sondern kann es auch neu deuten. Die lange schmale Linie ihres bodenlangen Seidenkleides in gedämpftem Weinrot wird gebrochen durch eine unter der Brust angesetzte Stoffglocke, die vorn nur kurz, hinten aber erst in Kniehöhe endet, ein Oval um den weiblichen Körper legt und an die Eiformen des Malers Breugel erinnert. Auch bei Birgit Stumpf und Kirsten Lüders hatte man den Eindruck, daß die vorhandenen Stilformen aus der Tradition der Mode noch einmal neu verwendet werden. Unter dem durchscheinendem schwarzen Spitzenmantel ein Kleid aus Metallplättchen; das geht doch wenigstens ein bißchen über die Empfangspuppen im KaDeWe hinaus. Dort stehen im Lichthof seit kurzem zwei stocksteife Herren in historischen Uniformen und werben für KPM, die Porzellanmanufaktur für Staubfänger aus der guten alten Zeit.

Bei der nächsten Show im Interconti ist von dieser ganzen Spangenschuh- und „ach, mir ist so barockig“ -Welle nichts zu spüren. Jean-Charles de Castelbajac's Stil ist so zeitlos und großzügig, daß er eher zeitgemäß als zeitgenössisch ist. Dennoch, auch hier wird Geschichte zitierfähig, wenn auch niemals als Wiederholung. Eine Kollektion von bedruckten Seidenkleidern, hat die Musikgeschichte zum Thema und zeigt in den Farben fein abgestimmt die Porträts oder legendären Plattencover von Elvis über die Beatles bis zu Bob Marley. Und bevor jetzt auch noch Prince zur Historie gerechnet werden kann, läßt der große Meister Flagge zeigen. Da wandeln nebeneinander drei bodenlange Urmäntel und zeigen in schwarzem Druck auf rotem Grund die übergroßen Köpfe der Revolutionäre im Halbporträt: einst noch Marx, Engels und Lenin, werben jetzt für eine andere Revolution Beethoven, Bizet und Wagner. Bei Benjamin heißt es im Passagenwerk an einer Stelle über die Mode, es sei der Ausverkauf, der auf französisch „revolution“ heißt.

Castelbajac beginnt seine Gala-Show zum Entsetzen der geladenen Einzelhändler mit einer Folge von Bilderkleidern. Da tragen nun die Modells große unförmige Kleider aus Leinwand spazieren, die von jungen Nachwuchstalenten aus des Künstlers Umkreis bemalt wurden. Das funktioniert nicht besonders gut, nicht, weil es untragbar ist, die hübschen Mädchen stehen mit ausgebreiteten Armen innerhalb der Bilder wie Jesus am Kreuz, sondern, weil es die Trägerin zur Plakatwand degradiert. Es stellt sich keine Beziehung zwishen dem Kleid und der Frau her. Die Trägerinnen dieser Kunstkleider werden weder schöner noch eleganter, aber auch nicht schrill oder häßlich durch diese Tracht. Sie verschwinden darin. Bis zum Schluß der Reihe, dann taucht ein Mädchen in einem schwarzen Sack auf, auf dem geschrieben steht: „Je suis toute nue en dessous“.

Nach diesem Auftakt zeigt der französische Couturier seine Winterkollektion unter dem Markenzeichen „Die Wolldecke“. Castelbajac, von dem es heißt, er habe während seiner schweren Jugend in strengen Jesuiteninternaten schon zur kuscheligen Wärme der Wolldecke Zuflucht gesucht, scheint diese immer noch zu lieben. Viele seiner Wintermäntel erinnern an große schottische Plaids und an Linus von den Peanuts. Große Karos in Wollweiß und Schwarz mit Rot und Grün verbreiten Optimismus und gute Laune grenzenlos. So wie die Modells jetzt vom Laufsteg herunter strahlen, wird auch die großbürgerliche Familie in diesem Winterdress glücklich sein müssen. Es bleibt ihr bei diesen fröhlichen Farben kaum etwas anderes übrig. Melancholie ist gerade nicht angesagt, da müssen sie sich an einen anderen Modemacher wenden. Aber man kann sicher ganz wunderbar darin zum Skiurlaub fahren oder auch mit einem Rassehund und zwei wohlgeratenen Kindern an einem strahlenden Wintertag um die Außenalster spazieren.

Und besonders gut können sie die hübschen Mädels auf dem Laufsteg tragen. Diese Mädchen, die das Geheimnis der Infantin kennen und die, wenn sie gut sind, und sie können noch viel besser sein als in Berlin, mit ihrem blendenden Lächeln, ihrem fließenden Gang der vorgeschobenen Hüften und ihrer Schaut-her-Pose den Glanz so stark reflektieren, daß man die Kleider gleich mitkauft. Und um etwas von diesem Glanz und Glitzern, diesem aufgeschinkten Glück zu ergattern, waren sie auch alle gekommen. Sie alle beherrschen die hohe Kunst und Grundregel des Empfangs, den gefüllten Teller in der einen Hand zu leeren, ohne dabei das Weinglas in der anderen zu verschütten, die Einzelhändler und Textilfabrikanten, die Fachjournalisten und die Möchte -gern-Designer. Und auch in diesem Jahr konnte Herr E. „der Erfinder des eingesetzten Ärmels“ gesehen werden, und Frau F. aus M., die immer so schreckliche Schuhe trägt und der junge B., der Sohn vom alten B., der schon wieder dicker geworden ist und vor allem Frau R. aus K., die immer so unverschämt ist und sich auf die reservierten Plätze von wichtigen Leuten setzt, was die andern alle ärgert und sie ihr wünschen, daß sie mal ganz peinlich dasteht, nächste Saison, in P. oder R. oder N.Y. vielleicht...

Susanne Raubold

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen