piwik no script img

Pionier der Abenteuerliteratur

■ Zur Werkausgabe Friedrich Gerstäckers

Mitte des 19.Jahrhunderts wurde Friedrich Gerstäcker (F.G.) zu einem Vorläufer heutiger Abenteuerliteratur und so bekannt wie später Karl May, der allerdings seitenweise von F.G. abgeschrieben hatte. Jahrzehntelang nahezu vergessen, sind nun die zwei ersten Bände einer autorisierten Werkausgabe im Union Verlag erschienen. Die Herausgeber Wolfgang Bittner und Thomas Oswald haben diese Bände behutsam in eine Sprache übertragen, die uns heute ein müheloses Lesen erlaubt, andererseits der originalen Sprachregelung noch nah genug verhaftet ist, um nicht zuletzt auch in ihr den damaligen Sinn fürs Exotische spürbar werden zu lassen. Im Gegensatz zu den vergleichsweise glatten Phantasien Karl Mays resultieren die Romane F.G.s aus dessen eigener Anschauung und Recherche vor Ort, was die Sprachstudien der von ihm besuchten Naturvölker (u.a. in Nordamerika und der Südsee) einschloß. Die Protagonisten seiner Romane sind also dem Leben abgeschaute Typen, die in einer fiktiven aber wahrscheinlichen Geschichte auftreten. Bei den Regulatoren von Arkansas ist es u.a. der skurrile Hinterwäldler Harper, der mit seinen köstlichen Flunkergeschichten das penetrante „Wenn ich nicht irre“ eines Sam Hawkins um Längen an Witz übertrifft.

Der Indianer Assowaum mit dem silberbeschlagenen Gewehr bleibt sich treu und wird nicht zum verkappten Christen stilisiert, vielmehr wird zuletzt der von ihm gestellte Mörder seiner Squaw auch gebührend zu Tode gemartert. Einzig die Dialoge im Herzschlag einer Courths-Mahler zwischen Bill Brown, dem jungen Freund Assowaums und späteren Regulatorenführer, und seiner geliebten Marion Roberts zwingen des öfteren zur unfreiwilligen Anspannung des Zwerchfells. Das bremst die spannend vorwärtsgetriebene Mörderjagd aber nur geringfügig, genauso wie die liebevollen Beschreibungen der allgemeinen Lebensbedingungen unaufdringlich über Eßgewohnheiten, Familienfeste, Wohnverhältnisse etc. der Haupt- und Nebenpersonen (von damals) informieren.

Der Aufklärung verschrieben, ist die Haltung F.G.s die eines Freidenkers, der fern vom feudalen Europa (zu Zeiten Goethes!) erfahren hatte, daß Andersartigkeit positive Aspekte haben und von der Norm abweichendes Verhalten moralisch gerechtfertigt sein kann. In beiden Romanen sind es dann auch Mitglieder des Klerus, die mit ihrer Bigotterie Gift in die an sich harmonischen Gesellschaften verspritzen. Besonders hervorgehoben wird das Vergewaltigende missionierender Christen in Tahiti. Dabei stellt F.G. dem fanatischen einen toleranteren Missionar gegenüber und versagt sich so einen platten Schlagabtausch.

Tahiti ist die Liebesgeschichte eines geflüchteten Matrosen und einer christlich erzogenen Südseefrau. Das größte Problem für die beiden besteht anfangs irrwitzigerweise darin, daß sie einem streng protestantischen, er aber einem eher weniger intensiven katholischen Glauben anhängt... Das liest sich zuweilen wie eine Satire auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und Problemstellungen des alten Europa.

Tahiti geht jedoch über die klerikalen Streitereien hinaus und stellt die Grundsatzfrage, ob sich unterschiedliche Kulturen überhaupt mehr als nur annähern können. Bezeichnenderweise gelangen die Spannungen zwischen dem Liebespaar dann an einen Siedepunkt, als die in ständigen Kontakt mit anderen Europäern „geraten“.

F.G. hebt auch in Tahiti Widersprüche nicht einfach auf, sondern läßt sie unbeschönigt aufeinanderprallen. Wieder schaut der Leser direkt in die Hütten und Heiligtümer und hat an Sitten und Gebräuchen der Südseeinsulaner regen Anteil.

Neben seinem literarischen Handwerk ist es aber vor allem die Einstellung zu seinen Sujets, die F.G. so herausragend und nach wie vor aktuell sein läßt. Der Union Verlag hat alles getan, um diesem Werk nun eine würdige Wiedergeburt zu ermöglichen. Solide Leinenbindung und lesefreundlicher Druck verstanden sich dabei fast von selbst, aber den Illustratoren wurde ebenfalls ein beachtlicher Raum zugebilligt. Nach langen Verhandlungen wurde dafür ein Meister seines Faches, nämlich Uwe Häntsch aus der DDR, verplichtet, und so ist diese Werkausgabe die zweite (neben der Brechtausgabe), die in Coproduktion mit einem DDR-Verlag (Neues Leben) entstanden ist. Zum Schluß also das hymnische Finale: Eine spannende, authentische, im historischen und aufklärerischen Sinne bildende Lektüre, die in ihrer bibliophilen Ausstattung hoffentlich nicht mehr länger als Rarität gehandelt werden muß.

Ulrich Karger

Die Regulatoren von Arkansas, bearbeitet von Wolfgang Bittner, Stuttgart 1988, Union Verlag, 594 Seiten, 34 Mark

Tahiti, bearbeitet von Thomas Oswald, Stuttgart 1988, Union Verlag, 550 Seiten, 34 Mark. Ausstattung Verlag Neues Leben (DDR)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen