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Unvereinbarer Biedenkopf

Der Unionspolitiker Biedenkopf las der deutschen Wirtschaft und seinen Bonner Parteifreunden die Leviten Wirtschaftswachstum ist der Zug in die falsche Richtung  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - „Die gestellte Aufgabe lautet: Institutionen und Normen entwickeln, die in der Lage sind, auf wirksame Weise naturerhaltende und ressourcenschützende Begrenzungen zu verwirklichen und damit die natürlichen Grundlagen menschlicher Gesellschaft dauerhaft zu sichern.“ Diese These stellte nicht etwa der gleichfalls als Referent zur Konferenz Verantwortung für die Zukunft in die noble Jahrhunderthalle in Frankfurt-Höchst geladene grüne Landtagspolitiker Rupert von Plottnitz aus Frankfurt zur Diskussion. Im Gegenteil, der streckte die grünen Waffen, nachdem der Christdemokrat Kurt Biedenkopf den etwa 150 VertreterInnen der bundesdeutschen Wirtschaft in einem Grundsatzreferat gehörig die Leviten gelesen hatte.

Auf Einladung der European Business School (ebs) im Rheingau, die als Kaderschmiede des europäischen Managements gilt, und des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft (IWG) in Bonn, sollten Biedenkopf und Plottnitz - zusammen mit dem Sozialdemokraten Sperling (MdB) und dem Diskussionsleiter der Arbeitsgruppe Konsequenzen begrenzter Ressourcen für die Gesellschaft, Gerhard Baum (FDP) - die Notwendigkeit eines Umdenkens in die Köpfe der noch immer auf quantitatives Wachstum setzenden IndustrievertreterInnen „einpflanzen“.

In den Chefetagen der bundesdeutschen Wirtschaft scheint sich - angesichts der sterbenden Wälder und sterbenden Robben - allmählich die Angst vor den Folgen des eigenen wirtschaftlichen Handelns zu etablieren. Nicht umsonst finanziert die Industrie der ebs einen Lehrstuhl für Ökologie und Unternehmensführung, den ausgerechnet der sogenannte Totengräber der rot-grünen Hessenkoalition, der Sozialdemokrat Ulrich Steger, besetzt hat. Als Gastgeber hatte Steger seinen Geldgebern die pragmatische Bewältigung der anstehenden Umweltprobleme ans Herz gelegt. So müsse etwa das System des volks- und betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens um ein „System von Öko-Bilanzen“ ergänzt werden.

Professor Kurt Biedenkopf ging noch einen Schritt weiter: Das Mitglied des CDU-Bundesvorstandes forderte eine Abkehr von der Ideologie des quantitativen Wachstums. Biedenkopfs Fazit aus der Erkenntnis der „Begrenzung der Handlungsspielräume“: „Daß wir nicht mehr alles tun dürfen, was wir tun können.“ Der Nichteinsatz bekannter technischer und vor allem chemotechnischer Verfahren, die zu unverantwortlichen Umweltbelastungen und Umweltrisiken führen, setze allerdings eine „Änderung in der Art des Denkens“ voraus. Grenzüberschreitungen seien heute kein „Triumph der Menschheit“ mehr und die Ausbeutung der Rohstoffe der Erde dürfe nicht länger als Fortschritt begriffen werden.

Solange die Wachstumspolitik gesetzlich legitimiert bleibe, rase der Zug in die falsche Richtung weiter. Biedenkopf: „Das von der Bundesregierung verfolgte Ziel einer steigenden wirtschaftlichen Expansion ist mit einer ökologisch vertretbaren Politik unvereinbar.“

Bei einigen der anwesenden Vertreter der bundesdeutschen Wirtschaft stieß der Beitrag Biedenkopfs auf wenig Gegenliebe. Während der Debatte meinte etwa ein Siemens -Manager, daß die Deutschen mit ihrer „Umwelt-Euphorie“ schon heute in Frankreich als „Ökologie-Faschisten“ bezeichnet würden. Und in seinem Schlußreferat eröffnete der Vorsitzende der Geschäftsführung der Henkel KGaA, Helmut Sihler, der bundesdeutschen Industrie wieder goldene Zukunftsperspektiven: In fünf Jahren werde der großflächige Einsatz der Gentechnologie alle Umweltprobleme der Gegenwart und der Zukunft lösen. Danach stieg Sihler in seine katalysatorbestückte Luxuskarrosse mit Chauffeuer und rollte davon Richtung Düsseldorf, um dort seine Hände mit phosphatfreiem „Persil“ in Unschuld zu waschen.

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