: Kleine Krabbelkinder kriegen Kohle
■ Erstmalig wird in Bremen ein Förderprogramm für private Krabbel- und Kleinkindergruppen aufgelegt / 5.000-10.000 Mark pro Gruppe können beantragt werden / Krabbelgruppen müssen „festangestellte Bezugsperson“ nachweisen
Es soll nicht „flächendeckend“ sein oder werden, es soll nicht einmal einen „Einstieg“ darstellen, aber immerhin gibt es Geld: Erstmalig werden in Bremen öffentliche Gelder (aus Lotto-Mitteln und aus dem Selbsthilfe-Topf) ausgegeben „für die Förderung von Kindern unter drei Jahren“.
„Nach endlosen Debatten“, so Jugendsenator Henning Scherf gestern vor JournalistInnen, hat sich die Deputation für Jugend darauf verständigt, 210.000 Mark noch im Jahre 1988 lockerzumachen, im nächsten Jahr soll es doppelt so viel werden. Das heißt: rund 5.000 bis 10.000 Mark können Krabbelgruppen, Spielgruppen und Eltern-Kind-Gruppen noch bis Dezember auf Antrag bekommen - ein erstes winziges Polster, um die größten Finanzierungs-Lücken ein bißchen zu stopfen.
Die Jugend-Behörde „reagiert“ damit erklärtermaßen (und gegen ihre bisherigen eisernen Grundsätze) auf die unübersehbare Lage auf dem Arbeitsmarkt und in den Familien: „Die wirtschaftlichen Veränderungen ha
ben auf die Familien durchgeschlagen. Der Zahl der Alleinerziehenden ist erheblich gestiegen (wobei die Männer eine vernachlässigenswerte Größe darstellen).
Die soziale Lage der Frauen ist prekär.“ So faßt der Begleittext zum neuen Förder-Programm aus der Scherfschen Behörde die Gründe für den Kurswechsel zu
sammen. Die Devise „Kinder unter drei Jahren gehören in die Familien“ hatte noch bis vor kurzem auch Scherf eisern aufrecht erhalten und dazu gewußt, daß damit
vor allem die Mütter gemeint waren. Und noch gestern war er am lebhaftesten, wo er diese frühere Haltung und die große Vorsicht mit der neuen Förder-Richtung begründete: „Ich habe meine Bedenken weiterhin, wenn Kinder unter drei Jahren unter staatliche Aufsicht kommen, wie wir das aus Berlin, Hamburg, der DDR und dem ganzen Ostblock kennen.“ 20 Kleinkinder „in Gitterbettchen zu stecken wie in einer Klinik“ oder sie „als lebendige Puppen für die Fünfjährigen“ in andere Kindergruppen zu stecken - das soll nach wie vor nicht gemeint sein.
Diese Gefahr besteht aber schon mangels Finanzmasse nicht. Bei den Bewerbungen für Kindergärten bekommen derzeit zwar alle Fünfjährigen, aber nur 70 Prozent der Vierjährigen und praktisch kaum Dreijährige einen Platz, was Eltern oder alleinerziehende Mütter vor SeiltänzerInnen-Aufgaben stellt: Geld für die Familie aufzubringen, den Job nach mehr als einem Jahr Pause nicht zu verlieren, die Kinder unterbringen zu müssen, eine private Betreuung aber nicht bezahlen zu können, Arbeit zu finden und so zu organisieren, daß „nebenbei“ Kleinkinder versorgt werden können...
Im einzelnen stellte Scherf gestern drei Fördermodelle vor, die die Bedingungen für den kleinen warmen Regen festlegen. Für Selbsthilfe-„Spielgruppen“ mit Kindern „unter drei Jahren“ gibt es bis Dezember zusätzlich 50.000 Mark, 1989 werden es 100.000. Damit werden etwa 25 bis 30 Gruppen Zuschüsse bekommen.
Private „Krabbelgruppen“ für Kinder von zwei bis drei Jahren können Geld beantragen, wenn sie an fünf Wochentagen eine regelmäßige Betreuung „durch festangestellte Bezugspersonen“ gewährleisten. Die veranschlagten 60.000 Mark (im nächsten Jahr 120.000) werden für rund 15-20 Gruppen reichen. Weil Selbsthilfegruppen, so argumentiert Scherf, häufig Beratung, Begleitung und Hilfe von Fachper
sonen brauchen, ist die Förderung mit dieser Klausel verbunden: „Wir wollen nicht den billigen Jakob gegen die Hauptamtlichen, wir wollen die Betreuungsqualität aufrechterhalten.“
Das ist leicht gesagt und schwer getan in Zeiten, wo den Krabbel- und Hortgruppen der ABM-Hahn zugedreht wird und die so vehement geforderten „festen Bezugspersonen“ auf die Straße gesetzt werden. Der „Verbund Bremer Krabbel- und Kleinkindgruppen zusammen groß werden e. V.“ hat erst vor kurzem in einem dringenden Appell ans Arbeitsamt die „faktische Streichung“ der ABM-Förderung konstatiert. „Bei ABM reden alle durcheinander, da kann sich keiner auf was einrichten“, war gestern denn auch alles, was Scherf zu diesem Thema sagen mochte. Einen Tip von ganz oben aber gab es noch: „Dann muß sich eine Krabbelgruppe eben Spielgruppe nennen, dann geht das.“
Für Eltern-Kind-Gruppen schließlich, wenn sie auch Unterdreijährige aufnehmen, stehen zusätzlich 100.000 Mark bereit - unter der Voraussetzung, daß die Gruppenstärke von 15 auf maximal 12 Nasen reduziert wird.
Rund 5.000-10.000 Mark pro Gruppe kommt bei dem Fördermodell raus - das ist besser als nichts, aber weit entfernt von der Versorgung, die die Krabbel-Initiativen für notwendig halten. An die 2.000 Ablehnungen gab es in der letzten Runde um bremische Krippenplätze. „Eine flächendeckende Versorgung, also Krippenplätze für 25 Prozent der 0-3jährigen, schaffen wir nicht und auch nicht mal einen Einstieg“, betonte Scherf immer wieder. „Wir wollen und können nur ein bißchen die Selbsthilfe, die privaten Anstrengungen und die Betroffenen-Organisationen fördern.“
Von den privaten Gruppen soll möglichst keine auf der Strecke bleiben. Scherf: „Die Frage der Auswahl stellt sich bisher nicht, wir konnten alle Anträge auch fördern.“ Susanne Paa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen