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Bremer Familie im türkischen Knast

■ „Fidan„-Buchhändler Ahmet Güler und seine Eltern sollen Fluchthilfe für Todeskandidaten geleistet haben Auf der Heimreise verhaftet / Folter befürchtet / Bremer Freunde gründen Solidaritätskomitee

Ahmet Güler, Besitzer des türkischen Buchladens „Fidan“ am Sielwall, befindet sich seit Dienstag in türkischer Polizeihaft. Mit ihm wurden seine Eltern verhaftet. Sie werden verdächtigt, beim Ausbruch von 18 Todeskandidaten aus dem Gefängnis der Stadt Kirshehir Fluchthilfe geleistet zu haben.

Die Gülers waren bereits auf der Rückreise nach Bremen. Am Donnerstag sollten sie ankommen. Stattdessen kam nur ein Anruf. Ahmet habe am Telefon müde und verstört gewirkt, berichtete ein Bremer Bekannter. Es

seien Stimmen im Hintergrund zu hören gewesen, und Ahmet sei mehrmals unterbrochen worden. „Meine Eltern sind krank“, habe er gesagt. Nach einem vorher verabredeten Code heiße das: „Wir sind verhaftet worden“.

Inzwischen haben Bremer Freunde Ahmet Gülers rekonstruiert, daß die Familie bei einer Straßenkontrolle kurz hinter Ankara festgenommen worden ist.

Die türkische Polizei macht zum Verbleib der Gülers bisher keine Angaben. Aber: Eine indirekte Bestätigung der Verhaftung lieferte die türkische Boulevard

zeitung Milliyet: Die Polizei habe festgestellt, daß die Todeskandidaten bei ihrer Flucht einen VW aus Bremen benutzt hätten. In der Zeitung war auch das Kennzeichen zu lesen: Es war Ahmets Auto.

Am 17. August waren aus dem Gefängnis von Kirshehir 18 Männer geflohen. Unter der Anklage revolutionärer Tätigkeit waren sie verurteilt worden, bis auf einen alle zum Tode. Bei drei Flüchtlingen waren die Todesurteile schon vom obersten Gerichtshof bestätigt worden, konnten also jederzeit vollstreckt wer

den. Von ihrem Zellentrakt aus gruben die Männer einen über 100 Meter langen Tunnel in die Freiheit. Ohne Hilfe von außen hätten sie weder den Tunnel graben noch sich bis heute vor den Behörden verbergen können, meint die türkische Polizei. Bei zahllosen Razzien bei den Verwandten der Geflohenen sowie bei ehemaligen politischen Gefangenen nahm sie hunderte von Menschen fest. Außer Ahmet Güler und seinen Eltern ist unter den Festgenommenen noch ein „deutscher“ Türke: Der Lehrer Oguz Lüle aus München. Seine Verhaftung hat die Polizei bestätigt. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, und die bundesdeutsche Botschaft hat sich deshalb nach seinem Verbleib erkundigt.

Ahmet Güler war vor dem Militärputsch des Jahres 1981 in der Türkei politisch aktiv und mußte deswegen ins Gefängnis. Auch in Bremen setzte er sich für die Menschenrechte in der Türkei ein.

Seine Eltern kamen vor 20 Jahren nach Bremen. Sein Vater arbeitet bei Daimler-Benz und muß am Montag seine Arbeit dort wieder aufnehmen. In den vergange

nen Jahren mußte er sich mehrmals Herzoperationen unterziehen und ist ständig auf Medikamente und ärztliche Behandlung angewiesen. Dr. Eikens, der ihn in Bremen behandelte: „In der Bundesrepublik würde er sofort Haftverschonung bekommen“.

In Bremen haben Freunde und Kunden des Buchladens „Fidan“ ein „Komitee für die Freilassung von Oguz Lüle und Familie Güler“ gegründet. Auf einer Pressekonferenz ging das Komitee gestern davon aus, daß Ahmet Güler und seine Eltern gefoltert werden, zumal sie vermutlich in das berüchtigte D.A.L.-Folterzentrum (übersetzt: Untersuchungs-Laboratorium) nach Ankara gebracht worden sind. Ahmets Bruder Muammer: „Meine Eltern werden die Folter nicht überleben“. Das Komitee will erreichen, daß das Außenministerium und der Daimler-Benz-Konzernvorstand sich in der Türkei für die Gülers einsetzen.

mw

Am Montag, 19 Uhr, trifft sich das Solidaitätskomitee in den Weserterrassen. Spendenkonto: 120.78.259 bei der Sparkasse, Stichwort: „Solidaritätskomitee„

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