: Zwei rivalisierende Regierungen im Libanon
Amtszeit von Präsident Gemayel abgelaufen / Der scheidende Staatschef setzte in letzter Sekunde Militärregierung unter Generalstabschef Aoun ein ■ Aus Beirut Petra Groll
Der Libanon hat seit gestern keinen Präsidenten mehr, dafür aber zwei rivalisierende Regierungen - eine christliche und eine moslemische. Am Donnerstag hatte Amin Gemayel, dessen sechsjährige Amtszeit als Staatsoberhaupt um Mitternacht auslief, als letzten Akt eine mit sechs Militärs besetzte Übergangsregierung eingesetzt. Zum Ministerpräsidenten wurde der christlich-maronitische Generalstabschef Michel Aoun auserkoren, obgleich dieses Amt laut dem sogenanten Nationalpakt einem sunnitischen Moslem vorbehalten ist. Dem neuen Regierungschef stehen lediglich zwei weitere griechisch-katholische Minister zur Seite, denn nur wenige Minuten nach ihrer Berufung lehnten die drei moslemischen Militärs jedwede Mitarbeit ab. Neben dieser nunmehr rein dienstlichen militärischen Rumpfregierung besteht die zivile Interimsregierung des moslemischen Ministerpräsidenten Selim al-Hoss, der seit Sommer 1987 im Amt ist, weiter.
Die drei moslemischen Militärs, die Amt und Würden in der neuen Regierung ablehnten, folgten damit einem Aufruf der geistlichen Führer der libanesischen Drusen-, Schiiten- und Sunniten-Gemeinden, die am Donnerstag abend beschieden hatten, kein Moslem könne sich an der von Gemayel eingesetzten Übergangsregierung beteiligen. Die moslemische und prosyrische Opposition hatte sich bereits zuvor hinter die Interimsregierung des sunnitischen Ministerpräsidenten Selim al-Hoss gestellt. Hoss und andere moslemische Politiker bezeichneten die Berufung Aouns als „kalten Staatsstreich“.
General Aoun, der sich und die Armee als „Retter der Nation“ betrachtet, galt selbst lange Zeit als aussichtsreichster Präsidentschaftskandidat. Er erklärte noch in der Nacht zum Freitag, er hoffe, seinen neuen Posten bald wieder loszuwerden, wenn das Parlament einen neuen Staatspräsidenten gewählt habe. Doch bereits am nächsten Morgen verschob Parlamentssprecher Hussein al-Husseini erneut die Einberufung des Parlaments, ohne einen neuen Termin zu nennen.
Das Parlament war seit Anfang August nicht in der Lage, einen Nachfolger Gemayels zu wählen. Am 18. des Monats hatten die maronitischen Abgeordneten erfolgreich eine Sitzung boykottiert, um gegen die Nominierung des prosyrischen Altpräsidenten Suleiman Franghie zu protestieren. Nach erneuten Verhandlungen, die von US -Staatssekretär Murphy in der letzten Woche in der syrischen Hauptstadt Damaskus geführt wurden, weigerten sie sich, dem nordlibanesischen Abgeordneten Mikhael Daher ihren Segen zu geben. Man lasse sich von Fortsetzung Seite 2
Kommentar Seite 4
Siehe auch Seite 10
FORTSETZUNGEN VON SEITE 1
Syrien keinen Kandidaten vorschreiben, hieß es zur Begründung.
Gestern schickten sich die beiden Regierungen in Ost- und West-Beirut an, ihre Geschäfte zu übernehmen beziehungsweise fortzuführen. Finanziell sind beide Lager halbwegs abgesichert, da sich die in Westbeirut ansässige libanesische Zentralbank eine unabhängige Entscheidung vorbehält und je nach Situation Löhne und Gehälter weiter auszahlen will. Erstes Opfer der neuen Situation werden an diesem Wochenende die Botschafter der fünf ständigen Mitgliedsländer des Weltsicherheitsrates werden, die sowohl von Hoss als auch von Aoun eingeladen wurden, sich am Regierungssitz einzufinden - allerdings zu unterschiedlichen Uhrzeiten.
Die moslemische Opposition hat mittlerweile angekündigt, kommende Woche einen „nationalen Kongreß“ einzuberufen, der Maßnahmen zur Rettung der Einheit des Landes ergreifen soll. Entlang der Bürgerkriegsfront an der „grünen Linie“ zwischen Ost- und Westbeirut war die Lage am Freitag sehr gespannt, nachdem es dort in den letzten Tagen zu den schwersten Gefechten seit zwei Jahren gekommen war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen