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Erstmals live für 100 Millionen

■ Im Fernsehduell der Präsidentschaftskandidaten siegte Dukakis nach Punkten / Von Stefan Schaaf

Das Spektakel gehört seit 1976 zum festen Repertoire US -amerikanischer Wahlkämpfe. Von beiden Beteiligten wird dem Fernsehduell, das in diesem Jahr rund 100 Millionen Zuschauer fand, höchste Priorität eingeräumt. Zumal ein großer Teil der Wähler noch völlig unentschieden ist. Die Republikaner haben in der Vergangenheit nichts unversucht gelassen, ihre Kandidaten bestens zu präparieren.

Am Ende beklagte sich George Bush, daß die Angelegenheit nicht in „freundlicherem“ Ton über die Bühne gegangen sei, denn er war in der mit großer Spannung erwarteten Fernsehdebatte von seinem Konkurrenten Michael Dukakis einige Male heftig angegriffen worden. Doch sollte Bush ernsthaft gehofft haben, daß an diesem Abend nur Nettigkeiten ausgetauscht würden?

Unvorstellbar ist dies einem Beobachter, der nach zwei Wochen Ferien im heimatlichen Deutschland in die mediale Schlammschlacht zurückgekehrt und wieder direkt mitbekommt, wie die Streithähne sich abstruse Vorwürfe um die Köpfe schlagen und sich bei ihren Auftritten in den ständig größer werdenden Flaggenwäldern verlaufen. „Keine Gefangenen nehmen!“, hatte Ronald Reagan seinem Schützling Bush als Devise für die Debatte auf den Weg gegeben.

Die Debatte am Sonntag abend wurde vom Fernsehen wie eine Schwergewichtsweltmeisterschaft angekündigt - die Olympischen Spiele haben die Art und Weise geprägt, in der diese sportbegeisterte Nation auf die Politik schaut.

Die Kandidaten wurden „gecoacht“, schon die ganze Woche lang übten sie in ihren Trainingscamps im Hotel, wie sie die Tiefschläge des Gegners abzuwehren hätten; statt über die Farbe der Trikots stritten die Kampagnen-Manager derweil über die Höhe der Podien, auf denen die beiden Kampfhähne dann aufeinander losgingen. Auch um die Waffen ging der Disput: Nicht im Freistil sollte duelliert werden, sondern die Konkurrenten sollten abwechselnd die Fragen dreier Journalisten parieren.

Um im Bild zu bleiben: Nur eine knappe Viertelstunde war die Debatte vorüber, als die TV-Gesellschaft ABC Mike Dukakis zum Sieger nach Punkten erklärte. Eine Blitzumfrage per Telefon hatte ergeben, daß 45 Prozent die Frage, wer „gewonnen“ habe, mit „Dukakis“ beantworteten, 36 Prozent hingegen mit „Bush“. Sam Donaldson, der sonst für ABC im Weißen Haus arbeitet und dort Ronald Reagans Skandale mit süffisanter Akribie seziert, stellte dem Gouverneur aus Massachusetts gleichfalls eine gute Note aus: Jener habe sich in der Debatte als „glaubwürdige Alternative zum Vizepräsidenten“ erwiesen.

Ein Erfolg war dies bereits in den Augen der sich angesichts von 100 Millionen Zuschauern ihrer Bedeutung bei der Meinungsbildung sehr bewußten Fernseh-Gurus. Viele Zuschauer hätten Dukakis ja bisher noch nie live gesehen und hätten sich nichts unter ihm vorstellen können, so die medialen Schlauköpfe.

Man kann bestreiten, daß Dukakis „Punktsieger“ war, aber vor allem, weil die Kategorie unsinnig und nur eine weitere der zahllosen Plattheiten ist, mit denen von den elektronischen Medien hier Meinung gemacht und die politische Debatte auf ein Kindergartenniveau reduziert wird.

Die Diskussion zwischen Bush und Dukakis hat aber geholfen, den Streit um die Präsidentschaft aus dem Sumpf der Dummheiten herauszuholen, in dem er in den letzten Wochen zu versinken drohte. Es ist unwahrscheinlich, daß Bush weiterhin die Flagge und den Fahneneid als Symbol für seine vaterländische Haltung ausnutzen kann, nachdem Dukakis ihm mit den Worten widersprach: „Natürlich stellt er meinen Patriotismus in Frage, und ich billige dies keinesfalls“ und anschließend die Gegenfrage stellte, warum Bush in seinen sieben Jahren als Vize- und damit auch Senatspräsident keine einzige Sitzung dieser Parlamentskammer mit dem Fahneneid beginnen ließ.

Auch als verantwortungsloser Pazifist, als der er von Bush bislang dargestellt wurde, taugt Dukakis nicht mehr, seit er eine ganze Latte von Waffensystemen aufzählte, die er eigentlich ganz prima findet. Als es um die Sowjetunion und die amerikanische Haltung zum Reformprozeß unter Gorbatschow ging, gebärdete Dukakis sich sogar rechts von Bush letzterer wollte die neuen Chancen zum Handelsaustausch ausnutzen, Dukakis hingegen erst ein scharfes Auge auf die Lage der Menschenrechte werfen. Vor allem aber den Irangate -Skandal bekam Bush aufs Brot geschmiert: Eine katastrophale Fehlentscheidung sei es von Anfang an gewesen, so Dukakis, mit den Geiselnehmern in Verhandlungen zu treten.

Bush konterte recht hilflos, daß er gerne die Schuld dafür akzeptiere, wenn er gleichzeitig auch nur die Hälfte des Lobs für die außenpolitischen Erfolge der Reagan -Administration auf seinem Konto verbuchen könne.

Doch die meiste Zeit stand Innenpolitisches auf der Tagesordnung. Bereits beim Schlagabtausch um Lateinamerika ging es mehr um die Drogenimporte als um Contra versus Sandinisten. Neben der Drogenbekämpfung folgten dann das Haushaltsdefizit, die 37 Millionen US-BürgerInnen ohne Krankenversicherung, die Obdachlosen, Abtreibung und die Todesstrafe. Dukakis warf der Reagan-Administration vor, Programme gestrichen oder konzept- und kopflos verwaltet zu haben, es habe allerortens an „leadership“ gefehlt.

Nach 90 Minuten Debatte konnte ich das Wort nicht mehr hören. Bestimmt 40- oder 50mal forderte Dukakis mehr „leadership“ und versprach, seine Präsidentschaft zu einer wahren Orgie von „leadership“ werden zu lassen. Was für eine Alternative am 8. November: George The Flag oder Mikel Leadership.

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