: Von der Unmöglichkeit der Schuldenkrise
Mit GLOBUS sollen weltweite politische und wirtschaftliche Entwicklungen computermäßig simuliert werden können Doch der Rezensent wehrt ab: zu viele Variablen, die über lange Zeiträume zu viel Seltsames produzieren ■ Von Raul Zausel
War der weltweite Börsenkrach vom 19.Oktober 1987 ein Wetterleuchten eines nahenden ökonomischen Kollapses der kapitalistischen Weltwirtschaft oder nur ein reinigendes Gewitter? Was würde mit der Weltwirtschaft geschehen, wenn die verschuldeten Länder der Dritten Welt und des realen Sozialismus unter der Last des Schuldendienstes zusammenbrechen?
Fragen wie diese werden seit geraumer Zeit in der wissenschaftlichen Literatur genauso diskutiert wie an den Küchentischen von Wohngemeinschaften. Vorstellbar ist zwar manches: der Zusammenbruch des internationalen Geld- und Kreditsystems infolge des Bankrotts all der Gläubigerbanken; das Ende allen Warenhandels der entwickelten kapitalistischen Länder mit der verschuldeten Peripherie; der Stopp aller Rohstofflieferungen; die Mobilisierung der diversen „schnellen Eingreifreserven“ und die Rückkehr zur traditionellen Kanonenbootpolitik ...
Angesichts solcher Spekulationsmöglichkeiten kommt das Globus-Modell zur Computersimulation weltweiter politischer und ökonomischer Entwicklungen gerade zur rechten Zeit, in der es auch der wachsenden Zahl von Heimcomputerbesitzern möglich ist, bei einigen Gläschen Wein diverse Phantasien am Bildschirm durchzuspielen.
Ein IBM-kompatibler Taiwan-Nachbau und ein mathematischer Coprozessor reichen aus, um zu simulieren, wofür frühere Weltmodelle wie etwa das erste Club-of-Rome-Modell noch Hardware benötigten, die so manche Wohnung füllen würde. Das unter der Leitung von Karl Deutsch am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung von einer großen Forschergruppe in mehrjähriger Arbeit erstellte Globus -Modell ist das Ergebnis einer echten Fleißarbeit.
Für die Zeit ab 1970 wurden Daten für insgesamt 25 Länder und für die fast unfaßbare Zahl von 40.000 Variablen und Parametern zusammengesucht und Interdependenzbeziehungen aufgebaut. Im Standardmodell können dann weltweite politische und ökonomische Entwicklungen, die sich aus dieser Interdependenzstruktur ergeben, über den Zeitraum von 40Jahren durchgespielt werden. Durch die Veränderung von Parametern wird es den ambitionierten Simulationisten sodann möglich, die Geschicke der Welt nach ihrem Gusto zu modellieren. Befremdliche Erkenntnisse
Vor der eigenhändigen Simulation gilt es aber erst einmal zu schwitzen - schließlich will Globus zunächst gehandhabt sein. Der über 900 Seiten umfassende Begleitband von Globus bereitet die erste Überraschung. Der continuous run, der von der Basisannahme ausgeht, im Zeitraum 1979 bis 2010 würden sich keine gravierenden Veränderungen gegenüber den Variablen und Parametern der Periode 1960 bis 1978 ergeben, kommt hinsichtlich der Einkommensentwicklung der industrialisierten und der Länder der Dritten Welt zu dem phantastischen Ergebnis, daß sich die Lücke im relativen Pro-Kopf-Einkommen von 16:1 auf 8:1 halbiert. Die Welt würde also zunehmend gerechter - eine mehr als befremdliche Erkenntnis angesichts der katastrophalen Verelendungs- und De-Industralisierungsprozesse in der überwiegenden Zahl der Drittweltländer. Die Forscher haben diese Entwicklung und die daraus folgenden Konsequenzen einfach übersehen.
Aber: Schließlich handelt es sich bei Globus um ein Simulationsmodell. Was bislang nicht im Modell als Entwicklung präsent ist, kann simulierend eingefügt werden. Wir haben, zum Beispiel, den Parameter, der die reale Weltzinsrate für internationale Kredite bestimmt, verändert und auf das Doppelte seines ursprünglichen Wertes gebracht. In dem simulierten Zeitraum von vierzig Jahren ist jedoch weit und breit keine Überverschuldung der Dritten Welt zu erkennen, ganz im Gegenteil: Brasilien zum Beispiel sammelt in der Simulation nur ein Drittel des tatsächlichen bis 1988 aufgetürmten Schuldenberges an. Kein Ende des Wachstums
Ähnlich verhält es sich mit Argentinien oder Mexiko. Und was noch überraschender ist: Die Länder wachsen ununterbrochen weiter, im Durchschnitt sechs oder sieben Prozent jährlich bis zum Jahr 2010. Mit hohen Zinsraten ist also keine Krise zu bewerkstelligen.
In einem neuen Versuch haben wir die Länder mit einer niedrigen Zinsrate zur externen Kreditaufnahme provoziert und darüber hinaus noch die Reaktion auf mögliche Handelsbilanzdefizite verlangsamt. Auch Fehlanzeige: Nach vielen Parameteränderungen und ständigen Konsultationen des dicken Globus-Bandes entschieden wir uns, das Problem durch reine Gewalt zu lösen: Im simulierten Jahr 1988 wurde die Verschuldung von Argentinien, Brasilien und Mexiko einfach auf die realen Werten angehoben. Nicht gerade der eleganteste Weg, aber einen anderen bietet Globus nicht an. Obwohl es Sinn und Zweck des Simulationsmodells ist, die Zukunft vorauszusagen und Prognosen zu wagen, fängt die tatsächliche Simulation im Jahr 1970 an. Dies ist das letzte Jahr, für das alle Parameter für die 25 beteiligten Länder sicher ermittelt werden konnten. Wer dann die Zukunft simulieren will, muß zunächst einmal die jüngste Geschichte bis zur Gegenwart nachholen, das heißt 18 Jahre müssen den Computer durchlaufen, bevor wir etwas über die Zukunft erfahren. Mit „ZHOCK“ zum Schock
Wenn aber die Gegenwart durch die Simulation nicht reproduziert wird, steht man schließlich auf mehr als unsicherem Boden. Um die Länder gewaltsam zu verschulden, muß in den Globus-Quellcode selbst eingegriffen werden. Eine Routine mit dem zutreffenden Name „ZHOCK“ erlaubt es, jeden denkbaren Wirtschaftsschock für ein bestimmtes Jahr einzubauen. Unser Schuldenjahr ist 1988. Nach nochmaligem Starten ist es soweit: Die Länder der Dritten Welt können verschuldet werden. Im Falle Brasiliens springen die Schulden von 35Milliarden Dollar bis auf 110Milliarden innerhalb von nur zwölf Monaten.
Dies irritiert das Computermodell keineswegs. Brasilien wächst weiter um sieben Prozent jährlich! Der ausländische Kapitalzufluß in Gestalt von Krediten erhöht in den Schuldnerländern stetig das Investitionstempo, auch die Exporte nehmen stetig zu. Was theoretisch immer wieder behauptet wurde: die Modellsimulation scheint es zu bestätigen. Fremdwort Stabilität
Zu den Voraussetzungen dafür zählen aber einigermaßen stetige terms of trade und vor allem günstige Realzinsen sowie ein stabiler Dollarkurs. Alle diese Bedingungen waren allerdings seit den späten siebziger Jahren nicht erfüllt. Das grundsätzliche Problem mit Globus scheint zu sein (wenn wir jetzt die theoretischen Annahmen des Modells beiseite lassen), daß die Autoren einfach zu viele Variablen in ihr Modell eingebaut haben und einen zu langen Zeitraum simulieren. Da jede Variable von den anderen abhängt, addieren sich die Fehler in ihrer Bestimmung, und dies wird durch die Anzahl der simulierten Perioden potenziert.
Ein Beispiel: Die Welt-Zinsrate hängt von der Inflation in den USA ab und ist um vier Prozent höher als diese. Da die für die Siebziger Jahre simulierte Inflation zu niedrig ist, ergibt sich, daß auch die nominellen Zinsen zu niedrig sind. Der Refinanzierungsbedarf der Dritt-Welt-Länder ist entsprechend gering.
Wer globale Katastrophenszenarien durchspielen will, hat mit Globus auf die falsche Karte gesetzt. Fantasy tut weiterhin not.
Literaturangaben: Stuart A.Bremer (ed.): The GLOBUS model. Computer simulation of worldwide political and economic developments. Campus/Westview, Frankfurt/Boulder 1988.
Stuart A.Bremer & Walter L.Gruhn: Micro Globus user's manual. Edition Sigma, Berlin
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