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„Sein oder Nichtsein“

■ Am „Discovery„-Start hängt die Zukunft der bemannten Raumfahrt der USA

„Wenn es mit diesem Flug Probleme gibt, werden sich hier eine Menge Leute nach einem neuen Job umsehen.“ - An „Discovery“ hängt das Sein oder Nichtsein der amerikanischen bemannten Raumfahrt, das Prestige der Nation und die erfolgreiche Bekämpfung des Challenger-Traumas. Die Explosion im Januar '86 am Himmel von Cap Canaveral sitzt nach Meinung amerikanischer Psychologen vielen US-Bürgern noch tiefer in den Knochen als seinerzeit der Mord an John F. Kennedy.

Washington (taz) - Kein anderes Museum ist in den letzten zehn Jahren von mehr Amerikanern besucht worden als das „Air and Space„-Museum in Washington. Eine Raumfähre ist dort zwar nicht ausgestellt - sie sei dafür „viel zu groß“, sagt der Museumswächter Fred Mortimer -, doch ansonsten ist ein breites Sortiment technischen Geräts, mit dem der Mensch bislang die Schwerkraft zu überwinden trachtete, vertreten.

Die größten Trauben bilden sich um die drei Raumkapseln in der Eingangshalle, deren verkohlte metallene Außenhaut nur durch eine dünne Plastikhülle von den schwitzigen Händen und unerwünschten Kritzeleien staunender Space-Freaks geschützt wird. „Sehr beeindruckt“ zeigt sich ein studienreisendes deutsches Ehepaar von der Apollo-11-Kapsel und will gar nicht glauben, daß die vor ihnen ausgestellte schwärzliche Blechhülle tatsächlich bis zum Mond und zurück geflogen ist.

Die Unmittelbarkeit, mit der man in diesem Museum mit den materiellen Bedingungen des Aufbruchs der Menschheit in den Weltraum konfrontiert wird - John Glenns „Mercury 7„-Kapsel ist nur wenig größer als eine amerikanische Mülltonne könnte geeignet sein, den Mythos zu zerstören, der die Weltraumfahrt umgibt. Doch anderswo in dem weitläufigen Gebäude wird die Faszination an der Eroberung des Alls rasch wiederhergestellt; im ersten Stock etwa, wo man durch eine geschickte Installation selbst zum Mondfahrer werden kann. Daneben erscheint auf einem Fernsehschirm alle zwei Minuten JohnF.Kennedy, der eine Rede vorm Kongreß hält: „Ich bin der Ansicht, daß diese Nation sich zum Ziel machen sollte, vor dem Ende dieses Jahrzehnts einen Menschen auf dem Mond zu landen und ihn sicher wieder auf die Erde zurückzubringen. Es gibt kein Weltraumprojekt, das einen größeren Eindruck auf die Menschheit machen könnte ...“

So wie die Vereinigten Staaten von Amerika von ihren Gründervätern konzipiert waren, einen überlegenen Eindruck auf die Menschheit in der Alten Welt zu machen, so sind die Weltraumprojekte der USA mit dem Ziel entworfen worden, Amerikas Führungsrolle in Forschung, Wissenschaft und Technik zu demonstrieren. Häufig war diesem Anspruch von der Sowjetunion ein Strich durch die Rechnung gemacht worden. Der „Sputnik-Schock“ nach dem unerwarteten Start eines künstlichen Erdtrabanten im Oktober 1957 saß JohnF.Kennedy noch in den Knochen, als er den Mond als Ziel des amerikanischen Strebens benannte. Der Versuch der USA, gut zwei Monate nach Sputnik ihren ersten, gerade handballgroßen „Vanguard„-Satelliten zu starten, endete mit einer explodierten Rakete und einem verbeulten Satelliten, der heute, in der Hand eines grübelnden überlebensgroßen Uncle Sam ruhend, im „Air and Space„-Museum zu besichtigen ist. Der Fehlstart sei „ein Schlag für das Prestige der USA“, titelte damals die 'New York Times‘, den Kern des Problems treffend. Solche Schläge gab es noch weitere, schossen die Sowjets doch in den folgenden Jahren den ersten Menschen in die Erdumlaufbahn und die erste Raumsonde zum Mond; auch der erste „Weltraumspaziergänger“ war ein Russe. Nur auf dem bemannten Weg zum Mond war die Nasa schneller, obwohl drei Astronauten im Prototyp der „Apollo„-Kapsel auf der Startrampe verbrannt waren.

Jene Katastrophe war aber nichts im Vergleich zum großen Knall, mit dem am 26.Januar 1986 die Raumfähre „Challenger“ explodierte und ihre sieben Insassen augenblicklich zu nationalen Märtyrern werden ließ. Das Bild vom explodierenden Shuttle, so der Raumfahrtspezialist John Pike, sei „so sehr Teil der amerikanischen Psyche, daß es sehr wichtig sein wird, diese Erinnerung auszutreiben“. Die Challenger-Explosion war für die Generation der dreißig- bis 45jährigen laut einer Umfrage des Magazins 'Rolling Stone‘ gar ein traumatischeres zeitgeschichtliches Ereignis als die Morde an JohnF.Kennedy und Martin Luther King.

Für eine Nation, die einen großen Teil ihrer Geschichte damit zubrachte, sozialen Druck in eine ewige Wanderbewegung zur „New Frontier“, zu „neuen Grenzen“, umzuwandeln, bleibt heute nur noch der Weltraum zur Expansion. Der Princeton -Physikprofessor Gerard O'Neill hat denn auch keine Schwierigkeiten, sich Kolonien im All als Fortsetzung des „American Dream“ vorzustellen: „Es entspricht völlig unserer Tradition, daß Weltraumkolonien sich selbst erhalten, selbst regieren und frei über ihr Schicksal entscheiden. Wir in den westlichen Demokratien haben dabei nur zu gewinnen und nichts zu verlieren. Jede Diktatur hingegen wäre hilflos, wenn sie einer Gelegenheit gegenüberstünde, bei der sie ihrem Volk vertrauen müßte, ihre eigenen Schicksale zu gestalten, ohne darüber direkte Kontrolle auszuüben.“

Dieser Gedanke findet einen wichtigen Anhänger: Ronald Reagan, der Ende letzter Woche in einer emotionalen Rede vor den Angestellten des Raumfahrtzentrums in Houston sagte, es sei “ das vorgezeichnete Schicksal der Menschheit“, den Weltraum zu kolonisieren. „Des Menschen Reise ins All“, so Reagan, „wird, wie jede große Entdeckungsreise, Teil unserer unendlichen Suche nach Befreiung sein. In den endlosen Weiten des Weltraums werden wir die Befreiung von Tyrannei, von Mangel, von Unwissenheit und von Krieg finden.“

Doch zuerst muß der Start der „Discovery“ gelingen.

Stefan Schaaf

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