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Frischgeduschter Schmutztanz

■ "Total Dirty Dancing In Concert" war gestern in der Stadthalle: Akrobatischer Schmusetanz mit inszenierten Lüstern-Gesten vom Zeitgeist-Fernsehballett

Draußen ist Herbst. Der Wind riecht nach Meer. Und die Kastanien fallen von den Bäumen. Rotbraun, glänzend, glatt. Hmmm. Möchte mit meinem Liebsten durchs Blätterbunt tappen. Wind in seinen Haaren. Die riechen so gut (nein, nicht nach Meer). Lächeln drunter, ein Blick, das Stück Haut an seinem Hals, was das weichste ist, wo gibt, Hände und Lippen und mehr sag ich jetzt auch nicht. Da kann man bessere Dinge mit machen, als erotische Ikonen zu tanzen, rechts, zwei drei und links und chachacha. „Am Anfang, klar, hatte ich Muskelkater“, sagt Thorsten (23), seit Februar ein Dirty Dancer dem stern. „Da gibt's eine Figur, wo dir die Partnerin auf den Hüften sitzt, die Beine in deinem Rücken verschränkt.“ Ja, davon gibt es viele. Gesammelte Plattheiten fürs Wir-spielen-Sex-Machen, für die Inszenierung öffentlich anerkannter Signale von Verführung und Körperlust: Hüften fein aneinanderreiben, zucken und stoßen und wackeln, Mädels nach hinten biegen und alle Nase lang die Beine breit und den kleinen Klecks Gewalt obendrauf, also Mädels wegwerfen, hochziehen, Haare zupfen, ordentlich durchrütteln, Kerls umtreten (Ui, mit Stöckelschuhen), wegdrängeln,

ranlassen.

„Feeling in Bewegung umgesetzt“ (stern). Das ist es nicht. Die fühlen nicht, die tanzen Figuren, reproduzierbare Augenblicke nett anzuschauender Lust, Erotik nach Schnittmuster.

„Getanzter Kinsey-Report“ (stern). Das ist es eher. 463 akrobatische Stellungen in 531 Schrittfolgen. Sex nach Bewegungsvorschrift in abendfüllenden sportlichen Übungsreihen. Kastanienanfühlen und Halshautriechen werden vom Internationalen Erotik Komittee nicht als offizielle Disziplin anerkannt.

Ich war also gestern in der Stadthalle. „Total Dirty Dancing“, „Live“ und „In Concert“ mit den ganz „Original Dirty Dancing Dancers“. Das zeitgemäßte Produkt mit erhöhten Absatzchancen bei 14-40jährigen Zuguckern. Die waren gestern die frischgeduschtesten, liebsten und unauffälligsten Menschen, die mir jemals auf einer Musikveranstaltung vor die ungläubigen Augen gekommen sind. Jedenfalls hat keiner getanzt (ganz zum Schluß haben die Dirty-Dancers sich ein paar auf die Bühne

geholt zur 5-1/2-Minuten-Dirty Dancing-Crash-course-Party). Brav hocken sie vollbestuhlt auf ihren Sesselchen, kaufen neonfarbene Leuchtebändchen, klatschen und kieksen Mama einst.

Auf der Bühne eine Art Kleingarten-Combo (die „Original Dirty Dancing Band“). Dazu ein niedliches Häuflein gut ausgebildeter Tänzer als modernes Fernsehballett. Die meisten der Anwesenden wären bei solch akrobatischen Erotik -Turnübungen schlichtweg in der Mitte durchgebrochen. Ich habe durchaus etwas übrig für bewegliche Menschen. Bloß das „Dirty„ macht die Tanzstunde zum Medien-Hype, weil das Gehupf und Gebieg nichts hat, was Erotik ausmacht: Inszenierte Lüsternheit im System der kleinen Zeichen - ein Blick, eine hübsche Haltung, ein Haut-auf-Haut zum Hingucken. Der Film hat das noch: eine niedliche Hohlkreuz -Jennifer Grey und einenFackeln-im-Sturm-geprüften Patrick Swayze (die waren beide „In Concert“ nicht dabei).

Da waren: Ronnie Spector mit tatsächlich schmutziger Brätschstimme von der 60er-Jahre-Girl

group „Ronettes“ und mit so sentimentalguten Dingen wie „Be my Baby“. Auch da: Ex-Motown-Bestseller „Contours“.

Die versprochene „kollektive Begeisterung“ und „lebensbejahende Körperlust“ war nicht da. Alles Zaungäste der Erotik mit Sinn für sportliche Leistungen. Morgen kaufen sie Sportunterwäsche aus Baunmwolldoppelripp aber mit ganz hohem Beinausschnitt. Verdorbene kleine Bestien.

Und ich fahr mit meinem Schatz in den Urlaub. Sonnenhaut und Salzwasser und 5-Gänge-Menues und vielleicht übe ich auch mal Hebefiguren im Wasser. Das war nett im Film.

Petra Höfer

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