: Sozialamt verlangt Beweise
■ Sozialhilfeempfängerin soll beweisen, daß sie kein Wohnmobil besitzt
Als „reine Schikane“ bezeichnet die Neustädter Sozialhilfeempfängerin Karin G. (Name geändert) das, was das Sozialamt schriftlich von ihr verlangte. „Wir haben erfahren, daß Sie regelmäßig ein Wohnmobil im Stadtverkehr fahren“, hatte ihr die Behörde auf Amtspapier mitgeteilt. „Wir fordern Sie auf, eine Bescheinigung der PKW -Zulassungsstelle vorzulegen, daß Sie nicht der Halter sind.“ Doch „der Halter“ Karin G. hat in ihrem Leben noch nie ein Auto besessen. Sie hat noch nicht einmal den Führerschein.
„Seit meinem 17. Lebensjahr habe ich Sozialhilfe empfangen, und lebe seitdem in der Neustadt. Das Amt kennt meine finanzielle Lage ganz genau, die können sich doch denken, daß ich es mir nicht leisten konnte, nebenbei einen Führerschein zu machen“, sagt Karin G. Der Sozialamts-Brief gab ihr jedoch auch einen Hinweis darauf, wie es zu dem Vorwurf gekommen sein könnte. Zunächst war auch ein Autokennzeichen erwähnt worden. Doch die Sozialamts -Sachbearbeiterin hatte es feinsäuberlich wieder durchgestrichen.
„Die Frau, die diesen Wagen tatsächlich besitzt, kenne ich“, sagt Karin G., „die hat auch so lange Haare wie ich, sieht mir aber ansonsten gar nicht ähnlich.“ Wahrscheinlich habe jemand diese Frau beobachtet und sie dann denunziert, vermutet Karin G. Sie kann sich das ganze nur so erklären, daß ihre Sachbearbeiterin sie zu einem unsinnigen Behördengang nötigen wollte.
Die Forderung in dem Schreiben bezieht sich auf den Paragraph 60 Sozialgesetzbuch, der SozialhilfeempfängerInnen bei der Aufklärung ihrer finanziellen Verhältnisse zur Mitwirkung verpflichtet. Das Sozialamt hat in letzter Zeit häufiger solche Schreiben verschickt, in denen die Empfänger bezichtigt werden, angeblich PKW-Halter zu sein, Videorecorder oder ähnliche Wertgegenstände zu besitzen immer mit der Vermutung, daß Nebeneinnahmequellen bestehen.
Die SozialhilfeempfängerInnen haben zwar die Pflicht, zu einer solchen Vermutung Stellung zu nehmen. Es kann jedoch nicht von ihnen verlangt werden, daß sie selber den Beweis dafür erbringen, etwas nicht zu besitzen. Diese „Umkehrung der Beweislast“, wie sie auch von Karin G. verlangt wurde, ist im Sozialgesetzgebung nicht vorgesehen.
Roswitha Bünjer
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