: Gesucht: Ein netteres Wort für Hexenverfolgung
Der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar (FDP) zu den Befragungen Hunderter von Frauen, die abgetrieben haben ■ I N T E R V I E W
Mainz (taz) - Zu heftigen Reaktionen auf den Vorwurf der Grünen, in Rheinland-Pfalz laufe derzeit eine moderne „Hexenverfolgung“ von Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche hinter sich hatten, kam es gestern im Mainzer Landtag. In der Aktuellen Stunde zu den Vorgängen bei Ermittlungsverfahren gegen Ärzte warf Justizminister Peter Caesar (FDP) seinerseits den Grünen vor, sie hätten den Umfang der Ermittlungsverfahren gegen Frauen wegen Abtreibung „entweder bewußt oder in Folge eines Mißverständnisses“ falsch dargestellt. Die Zahlen, wonach gegen 215 Frauen ermittelt werde, stammten jedoch aus der Polizeistatistik. Die Grünen bestreiten, von Ermittlungsverfahren gegen diese Frauen gesprochen zu haben, sondern von Fällen, in denen Frauen intensiv befragt wurden. Auf Vorwürfe der Grünen, Staatsanwaltschaft und Polizei wollten Frauen wie auch Beratungsstellen einschüchtern, ging Caesar nicht ein.
taz: Herr Caesar, Sie sagten kürzlich, als liberaler Justizminister wollen Sie keine „Memminger Verhältnisse“ in Rheinland-Pfalz. Die Befragung Hunderter von Frauen nach intimen Details anhand vorgefertigter Fragebögen drängt die Parallele zu Memmingen aber geradezu auf. Es entsteht ein Klima der Einschüchterung und der Angst. Was wollen Sie dagegen tun?
Peter Caesar: Das ist nicht nur eine Frage der Justiz, wie sie Ermittlungen führt, sondern auch der Presse, wie sie berichtet. Schlagzeilen wie „Hexenjagd in Rheinland-Pfalz“ schaffen auch ein Klima der Angst oder tragen dazu bei. Wir haben deshalb in Rheinland-Pfalz keine Verhältnisse wie in Memmingen, weil in keinem Fall gegen Frauen ermittelt worden ist. In Memmingen hat man Frauen zur Indikationslage befragt mit dem Ziel und der Folge von Verfahren gegen die Frauen. Es sind eine Fülle von Frauen wegen Verstößen gegen den Paragraphen 218 bestraft worden. In Rheinland-Pfalz nicht. Daß es hier nicht immer mit der nötigen Feinfühligkeit und gebotenen Sensibilität geschehen ist, das stelle ich auch fest.
Wenn gegen die Frauen nicht ermittelt werden soll, dann ist doch die Frage: warum ein Fragebogen, der sehr detailliert nach der Gründen des Abbruchs fragt? In Memmingen wurde den Frauen anhand der Fragebögen die Berechtigung der Indikation abgesprochen.
Ich habe Verständnis für Ihre Bedenken, weil dieser Fragebogen Anlaß zu Mißverständnissen geben kann. Der Katalog findet nicht in allen Fällen meinen Beifall. Aber der Staatsanwalt hatte eine Fülle von Zeuginnen, die nicht in Neuwied ansässig waren. Er hat sich dann für einen Fragenkatalog entschieden, um so direkte Vergleiche bei der Beantwortung der Fragen durchführen zu können. Rechtlich zu beanstanden ist es nicht. Aber ich sage es noch einmal: es gibt auch in der Folge der Antworten keine Verfahren gegen Frauen.
Zu den Vorwürfen gegen den Arzt: zuerst wurde ja wegen Betrugs bei der Abrechnung mit den Krankenkassen ermittelt, später dann wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche. Es lag kein konkreter Verdacht vor, denn in allen Fällen wurde der Weg, den der Paragraph 218 vorschreibt, eingehalten. Sie sind als Justizminister für dieses unrechtmäßige Vorgehen der Staatsanwaltschaft in Koblenz verantwortlich. Welche Konsequenzen wollen Sie daraus ziehen?
Die Verdachtsmomente gegen den Arzt lagen vor. Es waren Aussagen von Sprechstundenhilfen, die bekundeten, daß erstens Abtreibungen über die Zwölfwochenfrist hinaus erfolgten, mit einer Fötusgröße bis zu zwölf Zentimetern. Zweitens Barzahlungen von Patientinnen, obwohl mit der Kasse abgerechnet wurde. Drittens eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Ausschabungen. Viertens mehrere Interruptionen an einem Tag. Das alles muß für einen Staatsanwalt, der diese Informationen bekommt, den Anfangsverdacht begründen.
Und warum ermittelte die Staatsanwaltschaft auch bei Pro Familia und den Ärzten, die die Indikationen stellten, und verlangte die Aufhebung der Schweigepflicht?
Es ist in den Fällen ermittelt worden, wo keine Unterlagen über die Indikation vorlagen. Nun müssen solche Unterlagen nicht vorliegen, auch das ist richtig. Aber daß in Zusammenhang mit anderen Faktoren ein Anfangsverdacht vorlag, ist klar. Da mußte doch gefragt werden, ob hier die Indikationsvoraussetzungen gegeben waren. Aber auch hier nicht mit Ziel, Ermittlungen zu führen oder gar den Laden dichtzumachen. Sondern es ging lediglich um eine Überprüfung.
Aber müssen die Ärzte und Ärztinnen sich nicht fragen, ab welchem Punkt dann doch Ermittlungen gegen sie geführt werden? Daß ihnen unterstellt wird, sie hätten die Indikation leichtfertig oder unrechtmäßig gestellt? Sie können doch nicht leugnen, daß hier ein Klima entsteht, wo jeder Arzt sich fragt, kann ich überhaupt noch mit Abtreibungen etwas zu tun haben?
Abtreibungen sind grundsätzlich strafbar, aber unter bestimmten Voraussetzungen, die der Paragraph 218 vorgibt, sind sie es nicht. Aber diese Voraussetzungen müssen eben überprüft werden. Natürlich ist das für einen Staatsanwalt schwierig. Der Arzt selbst sagte nichts. Die anderen Ärzte haben eine Schweigepflicht, die sagen auch nichts. An die Frauen sollte man tunlichst nicht herangehen, um kein Klima der Angst zu erzeugen. Ich sehe das ja alles von der psychologischen Situation her ein, aber ich sehe ebenso den Staatsanwalt. Daß so ein Klima der Angst entstehen kann, was Sie und ich nicht wollen, das ist unerfreulich. Ich werde mein Bestes tun, daß diese Angst abgebaut wird und daß hier ein Klima wie in Hessen oder Nordrhein-Westfalen entsteht. Aber im Sinne von Beanstandung, also „lieber Mann, das Verfahren hätte sofort eingestellt werden müssen“, das kann ich nun auch nicht machen.
Interview: Helga Lukoschat
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