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RADIOMETAPHER

 ■  UKW 97,2 MHz „The Infinite Talk“ von

Wojchiech Bruszewski in der Ruine der Künste

Der Name „Ruine der Künste“ läßt sich in der ambivalenten Weise des Genitivs doppelt deuten: als die zerstörten Reste des Bauwerks des klassischen Künste oder als Ruine, die Produkt der Künste ist. Die Idee der Ruine wiederum als Verfall, in dem das Ursprüngliche neu entsteht, ist eine Metapher der Romantik.

Eine andere ist das „unendliche Gespräch“. Das Radio Projekt „The Infinite Talk“ zitiert diese Metapher. Schaltet man im Umkreis der Ruine das Autoradio an und läßt den Senderlauf stoppen, wenn die Digitalanzeige in der Ziffernkombination 97,2 aufleuchtet, so hört man zwei Computerstimmen im unendlichen Gespräch. Synthetisch, eine Männer- und eine Frauenstimme. Sie tragen nach einem Zufallsprinzip montierte Fragmente philosophischer Texte vor und mitten hinein bricht eine Frage nach der aktuellen Uhrzeit, die stets präzise beantwortet wird. Dieses Projekt ist aus der Ruine der klassischen Künste gewachsen; die Aura des Kunstwerks ist in der zuverlässigsten Weise zerstört; Medium sind elektromagnetische Wellen, die in der Profanität des Radios in akustische Schwingungen umgesetzt werden. Die Stimme hat nicht mehr den Hof seelischen Ausdrucks, sie ist artifizielle Phonemmontage.

Das Romantische daran scheint einzig die Form des unendlichen Gespräches zu sein. Wenn aber Romantik vormals die Emanzipation der Subjektivität zu ihren unbegrenzten unendlichen - Möglichkeiten bedeutete, was soll das heute? Die Überzeugung von den unendlichen Möglichkeiten des Subjektes ist geschwunden. Die Freiheit durch Naturbeherrschung erwies sich als Schein. Es können also nicht mehr die unendlichen heiteren Streifzüge der Phantasie sein, die das unendliche Gespräch intendiert: die Unendlichkeit der Möglichkeiten des Subjekts hat sich zum schlechten Zwang der Unendlichkeit gewandelt. Die Zufallsmontage philosophischer Texte markiert die unendlicher Unsicherheit in der Positionsfindung der Moderne; alles macht Sinn - alles ist falsch. Die Unendlichkeit dieses Relativismus könnte den intellektuellen Reiz dieses Spiels haben; aber dies ist unmöglich geworden: schon die Aufteilung der Texte auf zwei Stimmen - die der Geschlechter - teilt die Unendlichkeit in die Unendlichkeit des genus, aber die Endlichkeit der Individuen. Scharf punktiert wird diese Einsicht durch den Keil, den die Zeitansage in die schlechte Unendlichkeit dieses Gespräches treibt. Das heißt: die Zeit reicht nicht aus für das unendliche Gespräch. Das heißt: die schreckhaft aufgehende Endlichkeit läßt das relativistische Spiel keine Freude machen.

Das Fragment ist nicht mehr Ausdruck dessen, daß es so ewig während könnte, sondern Abbruch aus Ratlosigkeit, aus offenbarer Falschheit des Lebens und Sprechens. Mit der scheinbaren Menschlichkeit der Kunststimme wird die Situation der Zeit in diesem Projekt mit kalter Nadel umrissen: noch wächst hier keine Birke.

S.K.W.

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