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Frauenforschung als Wissenschaftskritik

■ „Frauenthemen“ sind inzwischen anerkanntes akademisches Jagdwild; in die „women studies“ der USA hat gar der Pop-Feminismus Einzug gehalten: Lebenshilfe mit dem Schuß Emanzipation / Dagegen hilft nur die Wissenschaftskritik: Welchen Anteil hat „Wissenschaft“ an den gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten der „Tatsache Frau“? Und: Wie bestimmt sie das Selbstbild von Frauen?

Barbara Duden

Die Historikerin Barbara Duden ist eine der Initiatorinnen der „Sommeruniversität für Frauen“ in Berlin und der „Lohn für Hausarbeit„Diskussion. Zur Zeit forscht und lehrt sie an der Pennsylvania State University (USA) mit dem Schwerpukt Wissenschaftsgeschichte. d.Red.

Plötzlich war die Redaktion der taz am Telefon. Die Frauenredaktion. Mit der Stimme aus Berlin stellten sich Erinnerungen ein und auch das Erlebnis von Ferne. Ein Flug vom State College, von der Staatsuniversität von Pennsylvania, in die nächste Großstadt kostet fast soviel wie der billigste Flug von New York über den Atlantik. Wenn ich mich mit dem Auto aufmache, dann führt der Highway erst mal drei Stunden durch dichten Laubwald. In jeder Richtung. Nach New York, Pittsburg oder Philadelphia. Ein ehemaliger Kollege aus Berlin, den ich letztes Jahr hierher mitnahm, fragte mich: „Hat man die Lichtung hier noch nicht erfunden?“ „Das ist ein Schweizer Käse ohne Löcher“, war meine Antwort, „aber auch hier stirbt der Wald.“

Aus diesem Nirgendwo soll ich in der taz berichten, was seit 1968 in der Frauenforschung vor sich gegangen ist. Das kann ich nicht. Der Glaube an die „Forschung“ hat seine Unschuld verloren. Damals, in den 70er Jahren, war „Frauenforschung“ ein Aufruf zum Abenteuer und auch ein Schlachtruf zur Eroberung der Universität. Heute wird Frauenforschung weltweit als einer unter den vielen kleineren Betrieben der Universität akzeptiert. Hier in den USA läßt sich besonders klar sehen, was daraus wurde. Schrittweise haben sich die Freiheitskämpferinnen von damals in den Departments niedergelassen, haben feste Bereiche in der Lehre erobert, haben die Kuckucksnester zu Brückenköpfen und diese wieder zu kleinen Festungen ausgebaut. Man muß nur in den großen Bibliographien der Frauenforschung blättern, um zu staunen, wie viele erstklassige wissenschaftliche Beiträge seitdem als Frauenforschung erarbeitet worden sind.

In women studies läßt sich hier aber auch sehen, wie konventionell die Fragestellungen inzwischen sind. Studentinnen, aber auch sehr viele Studenten, geben sie einen Anstrich feministischen Anstands mit auf den Lebensweg. Heute scheint mir oft, daß sich die Fragen, denen unsere Forschung öffentliche Gestalt gegeben hat, gar nicht mehr auf die Welt beziehen, die inzwischen zur Wirklichkeit geworden ist.

Wenn ich an die Stimmung zurückdenke, in der ich im Winter '68 Wollmütze, Handschuhe und Schals anzog, um im Tiergarten gegen die Amerikaner in Vietnam zu protestieren, dann wird mir schwindlig. Wie heil war damals der Glaube an Gleichheit, Befreiung und Zukunft. Und das war noch einige Jahre vor dem „Mein Bauch gehört mir“ auf dem Wittenbergplatz gegen den Paragraphen 218. Und das wieder war vor den ersten Abendsitzungen zur Vorbereitung der ersten Sommeruniversität für Frauen. Noch später haben wir die erste Nummer der 'Courage‘ zu Viva-Frauendruck nach Kreuzberg gebracht. Damals ging es um „Lohn für Hausarbeit“, um die öffentliche Finanzierung von Kinderläden, um „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“, um frauengerechte Scheidungsreform, um gleichen Zutritt von Frauen in die Professionen. Frauenforschung sah ich als Grundlage für Frauenpolitik und Frauenpolitik als Gleichstellung der Frauen in der sozialen Wirklichkeit der Moderne. Sehr viele der großen Wirklichkeiten, innerhalb deren ich damals „Frausein“ und „Frau“ sichtbar machen, begreifen, „einbringen“ und erleben wollte, sind zerflossen. Die Kategorien, mit denen ich Gesellschaft zu fassen glaubte, verkrümeln mir unter der Feder. Neue Wirklichkeiten

Damals war zum Beispiel der Wald einfach noch da. Das war noch, bevor sich Volkswagen und Fiat und Ford zum Klub von Rom zusammentrafen. Das war noch, bevor ich von Ökologie verstand, daß nicht nur die Fichte vor dem Institut verdorrt, sondern Bäume reihenweise sterben. Im Spandauer Forst und anderswo. Was mir damals gesagt wurde, war etwas, das ich auch sehen konnte. Später erst habe ich gelernt, daß der Wald aus-stirbt. Nicht nur der Schwarzwald. Der Wald stirbt aus, weltweit. Wie der Walfisch und der Storch. Das Sterben kann ich sehen, das Aussterben nicht. Ich kann mir das Aussterben des Waldes nicht vorstellen, will es immer wieder vergessen.

Der Wald ist nur ein Beispiel für eine „Wirklichkeit“ von damals. Wenn ich ernst forschen will, bin ich heute immer mehr gezwungen, von neuen Wirklichkeiten auszugehen, die ich im Herzen und im Bauch nicht fassen kann. In einer Welt, in der ich weiß, daß der Wald stirbt, in der die Lohnarbeit weltweit zu einem immer selteneren Privileg wird, in der „Entwicklung“, „Gleichberechtigung“, „Selbstbestimmung“ entwertete Parolen sind, in der ich zwi schen „Reproduktionstechnologien“ wählen kann und mein Bauch vom Sonar veröffentlicht wird, in dieser Welt kann ich nicht mehr so „forschen“ wie damals, als wir uns „als Frauen“ in die Universität einbringen wollten. „Frau“ als meine Person, „Frau“ als geschichtliches Wesen, die das Subjekt meiner Forschung ist, oder „Frau als Perspektive“ in die „Welt ohne Wald“ durch Forschung einzugliedern, das erscheint mir jetzt als Unmöglichkeit. Vor fünfzehn Jahren war eine an der Universität anerkannte Frauenforschung das Ziel von Einzelgängerinnen, das als Wirklichkeit jenseits des Horizonts lag. Ich mußte mir 1969 ein Thema für die Staatsexamensarbeit wählen. Als ich meinem Professor vorschlug, Rahel Varnhagen zu „bearbeiten“, riet er mir davon ab, deutlich und durchaus um mein Fortkommen besorgt. Zu der gäbe es keine Forschungsbelange. Ich solle mich lieber an Max Weber machen. Fünfzehn Jahre später wäre dasselbe Gespräch nicht mehr so verlaufen. Die „Unsichtbarkeit der Frau“ im Forschungsfeld der Historiker und Soziologen ist seit den frühen 80er Jahren auf dem Weg, aus einer Parole zum Problem der Forschungsstrategie von Kollegen zu werden. Auch mürrische Herren mußten anerkennen, daß wir ein dreifaches Vorurteil sichtbar gemacht hatten:

-das Vorurteil gegen das Dasein von Frauen als Gleichberechtigte in der Universität

-das Vorurteil gegen „die Frau“ als Thema der Forschung

-und das Vorurteil gegen die frauenspezifische Perspektive auf Frau und sonstiges, inklusive Mann, wenn er als Forschungsobjekt auftritt. Gemaßregelter Geist

Mit dem Auftauchen „der Frau“ aus der wissenschaftlichen Versenkung begann auch gleich ein neuartiger Kampf um die Hosen. Großkopfige Professoren schrieben gelehrte Bücher zur Frauendichtung im Mittelalter, zum Bild der Frau in Theologie, Medizin und Juristik von der Renaisssance bis heute. Mit dem Einzug einzelner Frauen in die Fakultäten kam auch die Versuchung und der Zwang, zur wettbewerbsmäßigen Anpassung an die Methoden der Lehrstuhlinhaber und bald auch der Kolleginnen im fachgerechten Zugriff auf das gerade erst entdeckte akademische Jagdwild.

Solange Frauen noch nicht einmal in symbolischer Dosierung „drinnen“ waren, war es noch verhältnismäßig leicht einzusehen, daß die Universität, so wie sie war, unseren Ansprüchen einfach nicht genügen konnte. Emigration in eine nicht-elitäre Frauen-Sommeruniversität war 1976 noch eine sinnvolle Antwort. Sie war damals nur einer der vielen Freiräume forschender und neugieriger Frauen, die für die späten 70er Jahre charakteristisch waren. In den USA und auch anderswo hat seither die Vereinnahmung dieser Initiativen durch akademische Frauenprogramme ihren Geist gemaßregelt. Eine Abteilung für Frauenstudien ist ein Muß an jeder besseren US-Universität. Eigene Räume und ein Sekretariat sind die Minimalausrüstung für ein interdisziplinäres Programm. Stellen, Finanzen und Studienabschlüsse sind eine soziale Wirklichkeit, auch wenn erst durch ihre Anerkennung die relative Diskriminierung innerhalb der Universität eindringlich sichtbar gemacht wird. Feministische Wissenschaftlerinnen geben bald ein Dutzend Zeitschriften heraus, in denen feministische Forschung veröffentlicht wird. Jährlich gehören feministische Neuerscheinungen zu den weit über diesen Horizont hinaus rezensierten Büchern. Es ist üblich, daß zehn bis dreißig Kurse im Jahr als women's studies angeschlagen werden, und eine klare Mehrheit der Eingeschriebenen sind auch Frauen. Meines Erachtens dient diese feminist component in der curricularen Mühle dazu, die Parolen der Bewegung zu wissenschaftlich abgesicherten und gesellschaftlich tolerierten Selbstverständlichkeiten zu machen. So wie die parallel laufende akademische Rassenkunde, die black studies, die hispanic studies, verinnerlicht dieser frauenkundliche Betrieb oft Selbstdiskriminierung durch Gesellschaftskritik. Deshalb stehe ich hilflos und sprachlos da, wenn ich in meinem Programm gebeten werde, an einer Diskussionsgruppe teilzunehmen, die einen gesonderten Studienabschluß für und über schwarze Frauen installieren soll. A black women studies minor. An der wissenschaftlichen Herstellung der schwarzen Frau als Kategorie - und dann als persönliches Erlebnis - will ich nicht mittun. Die eingeschliffenen Denkmuster von „Rassismus“ und „Sexismus“ machen es mir unmöglich, diese Einsicht auch nur mitzuteilen. Wissenschaft schafft

„Tatsache Frau“

Ich unterrichte hier einen Kurs zur „Herstellung der Frau als wissenschaftliche Tatsache“. Es ist ein Kurs in Frauenstudien, der auch im interdisziplinären Programm von Science, Technology and Society eingetragen ist. Ich führe den Kurs als Beitrag zur Geschichte des epochenspezifischen Verhältnisses von Wissenschaft und „Frau“. Ich frage danach, was historische Formen von „Wissenschaft“ als kategorialen Typus von „Frau“ geschaffen haben; wie jeweils wissenschaftliche Erkenntnis in populare Vorstellungen eingehen konnte. Schließlich, ob und wie die so geschaffene Tatsache „Frau“ im Erlebnis von Frauen auftaucht, ihr Selbstverständis prägt.

Ich führe den Kurs auch als Beitrag zur Geschichte von Wissenschaft und Technologie und gehe dabei von den Begriffen des Ludwig Fleck aus. Fleck hat Thomas Kuhn inspiriert, er behandelt aber weitaus genauer die Einbettung des konkreten Wissenschaftlers und seiner Begrifflichkeit im wissenschaftlichen „Denkstil“ des Denkkollektivs seiner Epoche. Flecks Vorgehen ermöglicht es mir, zwischen der Herstellung einer wissenschaftlichen Tatsache im naturwissenschaftlichen Forschungsbetrieb, ihrer Verwendung als Emblem in der Popularwissenschaft und ihrer Verinnerlichung im zeitgenössischen Erleben zu unterscheiden. Mit diesem Instrumentarium läßt sich zum Beispiel die medizinische Herstellung eines sogenannten „Fötus“, der während der Schwangerschaft vom Arzt überwacht wird, von der Entstehung eines öffentlichen Emblems für den ungeborenen Menschen in den Medien unterscheiden und davon wieder die Verinnerlichung dieses öffentlichen Fötus als Neoplasma im Leben der einzelnen Frau. Pop-Feminismus

Nur mit Mühe gelingt es mir, die Studentinnen in dieses Gespräch hineinzuziehen, die gerade aus einem Kurs über das „Prämenstruelle Syndrom“ oder die „post -partum depression“ kommen. Und die sich dazu getrieben fühlen, diese Smptome überall in der Weltgeschichte bei Uterusträgerinnen wiederzufinden. Studentinnen und Studenten „wissen“, wie Aids-bedroht sie durch ihre Stellung im Spektrum der Hetero- und Homosexualität sind, wie ihr Orgasmus zu bemessen ist, wie gefährdet sie durch Anorexie und Bulimie sind, welche Proteine sie haben müssen und wie sie den energy-flow in ihrem Inneren regeln.

Aber noch viel unmittelbarer als dieser durch Lehrbetrieb eingefleischte Spuk ist der Pop-Feminismus ein Hindernis bei unserem Gespräch, denn allen jenen Studenten und auch Kollegen, die zu meinem Kurs kommen, ist der feministisch eingeschliffene Zwicker auf der Nase angewachsen. Wie nichts zuvor hat die Verwandlung frauenwissenschaftlicher Grundkategorien zu wohlmeinender Pop-Wissenschaftlichkeit dazu gedient, die Frau zum wissenschaftlich abgesicherten ungeschichtlichen Naturwesen zu machen.

Die Frage danach, ob und wie vielleicht aus meinem Erleben des Frauseins heute ein Weg zum Verständnis leibhaftiger Frauen in anderen Epochen und Kulturen gewonnen werden kann, ist damit unter dem Tisch. Und was mir noch wichtiger ist: Die Frage danach, welches Nein ohne jedes Ja mein Frausein -Wollen mir auferlegt, kann sich so nicht mehr stellen. Aus diesem Grund setze ich mich dafür ein, daß die Kritk an dem durch Wissenschaftlichkeit hergestellten Selbstbewußtsein der Frau heute grundlegend ist. Und zwar nicht nur persönlich für mich und andere Frauen, sondern auch als Ausgangspunkt für eine Kritik an den gesamtgesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten, die derzeit im Entstehen sind. Diese Art des Vorgehens und diese Art des Fragens scheinen mir jetzt entscheidend wichtig, und sehr lieb wäre es mir, wenn diese Forschung noch als Frauenforschung anerkannt würde.

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