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Nebelgranaten gegen protestierende Bauern

Das Herbstmanöver „Golden Crown“ war das brutalste Manöver seit 50 Jahren / Britische und belgische Panzereinheiten wüteten „wie tausend Wildschweine“ / CDU-Bürgermeister gehen auf die Barrikaden / Nachspiel im hessischen Landtag  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Nordhessen/Frankfurt (taz) - Barbara Schwede aus Hessisch -Lichtenau wurde von zwei Panzern durch ihren Heimatort gejagt. Als sich die Frau mit Kinderwagen und Hund in eine Garage flüchten konnte, schossen die Panzer „Salut“. Frau Schwede zitterte vor Angst, der Hund raste davon, und das Baby schrie sich die Seele aus dem Leib. Ein Bauer aus Gleichen im Schwalm-Eder-Kreis, der seine Weide vor fünf Panzern schützen wollte, bekam die Angriffslust der Soldateska gleichfalls zu spüren: Die Kolosse walzten den Weidezaun samt Tor platt. Dabei wurde ein schwerer Pfosten umgerissen, der den Bauern am Bein verletzte. In Sichtweite wollte eine Bäuerin ihr voll in der Frucht stehendes Maisfeld retten. Die Frau konnte dann „nur“ noch sich selbst retten, als vier Panzer mit Tempo über das Feld rasten. Auch in Wehren vernichteten die Panzerbrigaden mehr als die Hälfte aller Maisfelder. „So kann man natürlich innerhalb der EG das Überschußproblem auch lösen“, meinte ein Sprecher des Kreisbauernverbandes in Fritzlar ironisch: „Plattgewalzte Felder, soweit das Auge reicht.“

300 Liter Diesel im

Grundwasser

In Niederstein im nördlichen Schwalm-Eder-Kreis zerstörten die Panzer in einer einzigen Nacht den Festplatz und mehrere Straßen. „Über eine halbe Million Mark Baukosten sind futsch“, beklagte sich Bürgermeister Walter Neumann. Der Wald glich einer Sondermüllkippe: Ölbehälter, leere Cola -Dosen, Speisereste, Kartons und Sardinenbüchsen. Die Wiesen wurden aufgepflügt, „als ob tausend Wildschweine darüber gerast wären“, erklärte der Bürgermeister der Gemeinde. In Adorf empörten sich die Förster über die mutwillige Zerstörung einer frisch angelegten Buchenschonung. Bei Emstal im Kreis Kassel liefen beim Panzerbetanken 300 Liter Diesel ins Grundwasser. Am Hohen Meißner und in Felsberg im Schwalm-Eder-Kreis fielen die Hubschrauber vom Himmel. Panzereinheiten brachen Scheunen auf, zogen Traktoren und Heuwagen heraus und stellten ihre Stahlkolosse unter. Protestierende Bauern wurden mit Nebelgranaten eingedeckt.

„Die haben einen reinen Krieg gefahren“, meinte denn auch Bürgermeister Neumann. Und dabei war „nur“ Manöver angesagt. Unter dem Titel: „Golden Crown“ testeten 19.500 belgische, 3.540 britische und 6.500 bundesdeutsche Soldaten vier Wochen lang mit einem Kriegsszenario die Belastbarkeit der bundesdeutschen Bevölkerung und sprengten dabei alle Dimensionen. „So schlimm war es seit 50 Jahren nicht mehr“, empörte sich ein „manövererprobter“ Bauer öffentlich auf dem Marktplatz eines nordhessischen Dorfes.

Die grünen Landtagsabgeordneten Joschka Fischer, Fritz Hertle und Rupert von Plottnitz waren angereist, um sich vor Ort über die Auswirkungen des „Tortourmanövers“ (Hertle) zu informieren.

CDU-Bürgermeister

gegen „Vandalismus“

Selbst der konservative Bauernverband geht auf die Barrikaden. CDU-Bürgermeister sprachen von „Vandalismus“ und „Zerstörungswut“. Die Stadt Baunatal beschwerte sich bei Bundesverteidigungsminister Scholz mit „deutlichen Worten des Unmuts“ und der SPD-Bundestagsabgeordnete Walther schickte ein „geharnischtes Schreiben“ an den Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Wellershof. In ganz Nordhessen fordern jetzt Bürgermeister, Kreisbeigeordnete, Bauernvertreter und Bürgerinitiativen nach 1.500 registrierten Fällen von Manöverschäden - die Absetzung eines für den November geplanten neuen Manövers, weil bei „Golden Crown“ das „Dreißigfache der üblichen Manöverschäden“ verursacht worden sei, wie der Kreisgeschäftsführer des Bauernverbandes im Schwalm-Eder -Kreis, Helmut Hofmann, gegenüber der Lokalpresse erklärte.

Nordhessen mit Nordirland

verwechselt

Als eine „neue Qualität“ im Umgang der Nato-Soldaten mit der betroffenen Bevölkerung werteten die Grünen im Landtag die zahlreichen Äußerungen vor allem britischer Soldaten gegenüber protestierenden Bauern und anderen Betroffenen. Tenor: Die Deutschen hätten schließlich den Krieg verloren. Deshalb müßten sie heute akzeptieren, daß der Krieg bei ihnen geübt werde. Für Fritz Hertle haben deshalb die Briten „offenbar Nordhessen mit Nordirland verwechselt“. Der Oberbefehlshaber der belgischen Streitkräfte, Generalleutnant Depoorter, äußerte sich militärisch knapp: „Das Manöver Golden Crown war ein Beitrag zur notwendigen Abschreckung.“

Die Grünen im Landtag haben eine „Aktuelle Stunde“ zu den „Manövertortouren“ beantragt, die in dieser Woche auf der Tagesordnung des Landtages steht. Und selbst der CDU -Fraktionsvorsitzende und Reserveoffizier Nassauer zeigte sich beeindruckt: So schlimm wie diesmal dürfe es nie mehr werden.

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