KOMMENTAR
: Den Zehnten geben

■ Wir müßten, aber wir tun es nicht

Heute, am 10.10., gehe ich 3.000 Jahre in die Geschichte Israels zurück. Damals sah ein Gebot die Abgabe des 10. Teils der jährlichen Opfergabe für den Gott Israels vor. Alle sieben Jahre erhielten Asylanten (Fremde), Witwen und Waisen diesen Zehnten.

Die 10 ist von alters her die magische Zahl der Vermehrung, die Verkörperung von Weisheit, Schönheit und Tugend, die sich aus der Verstrickung der Materie erhebt. Modern ausgelegt: Der Zehnte muß nicht stets in barer Münze gegeben werden. Ein Zehntel unserer Tageszeit, anstelle des eigenen Fortkommens, des Erfolgs, der materiellen Sicherheit, für ein Wesen gegeben, das uns über den Weg läuft und uns braucht. Horst Frehe, der rollstuhlfahrende Bürgerschaftskollege, wünschte sich in einer Rede zur Pflege Behinderter einen „personal assistant“, einen persönlichen Betreuer. Ich ziehe, altmodisch'den Begriff Schutzengel vor. Wir würden mit Sicherheit ungeahnten Lohn ernten.

Kurt Tucholsky: „Der Zustand der gesamten menschlichen Moral läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to. But we don't.“

Karin Stieringer