: Die Regel von der Ausnahme
■ Indische Musik, das klingt nach geschlossenen Augen und Selbsterfahrung: Das „Indische Fest“ im Überseemuseum
Es gibt Musikformen, die mag man oder eben nicht: entweder fehlt das Verständnis oder die richtige Vorerfahrung. Im Gegensatz zu vielen meiner Generation hat es mich z.B. nie gereizt, durch Asien zu tingeln - vielleicht ist es diese Nicht-Erfahrung, die mir fehlt, um den indischen Kontinent und eine (Musik-)Kultur richtig zu verstehen.
Das „Indische Fest“ hat in Bremen bereits Tradition: seit Jahren wird es vom quirligen Ex-Tri Atma-Mitglied Asim Saha auf die Beine gestellt. Mit dem Übersee-Museum hat er den idealen Ort für diese Veranstaltung gefunden, denn das Interieur des Lichthofes liefert das passende Ambiente für diese exotische Mixtur aus Musik und Tanz - umgeben von Riesenpalmen, Bambuszelten und Originalkanus fällt die Hingabe besonders leicht.
So herrschte denn auch von Beginn an eine friedlich -andachtsvolle Atmosphäre, in der ein von der Umgebung abgeschiedener, in-sich-selbst-versunkener Genuß (noch nie habe ich so viele Menschen mit geschlossenen Augen gesehen) die Regel, die nur leicht angedeutete tranceartige Verzückung hingegen die Ausnahme war. Und vielleicht ist das ja auch ein Geheimnis der indischen Musik: daß es kein kollektives Erlebnis ist, sondern ein einzig und allein auf das Individuum abzielender Prozeß, eine quasi religiöse Beziehung, in der die Außenwelt keine Rolle spielt.
Vor allem im ersten Teil, einem Sitar/Tabla-Konzert klassischer Ragas, trat diese Wirkung deutlich zutage: die repetitiven Klangstrukturen sind aufdring-anstrengend -eintönig, wirken
wie Tranquilizer akustischer Art. Da richtet sich der Blick zwangsläufig nach innen: die Musik wirkt als schützender Schirm gegen die bösen Einflüsse des Alltags.
In der Pause folgte der (notwendige?) Rückbezug aufs Diesseits in Form kulinarischer Genüsse und beim Herumstöbern in indischem Kunsthandwerk. Zwischen Tee, Seidentüchern und indischen Rezepten war man vom schnöden Kommerzalltag schnell wieder eingeholt. Aber Kultur will eben vermarktet sein, und solche Veranstaltungen sollen ja wohl auch nicht nur Bedürfnisse befriedigen, sondern auch wecken!
Der zweite Teil des Abends geriet mit Tanz und weltlichen Gesängen wesentlich zugänglicher als der erste und bot sogar Anlaß zum Schmunzeln: als die Tänzerin Madhumita die 10 Gestaltwerdungen Vishnus darstellen wollte, verweigerte sich zunächst die Technik, was zu der Bemerkung führte, daß Vishnu wohl keine Lust mehr habe, auf diese Welt herabzukommen. Und in der Tat: auf die letzte (und wohl endgültig erlösende) Herabkunft des Gottes warten die Inder immer noch: dann soll er nämlich als Buddha die Welt vor der Zerstörung durch eine übermächtig gewordene Intellektualität retten! Ob mein Kopf damit auch gemeint ist?
JüS
Für die ganz Neugierigen und Indien-Fans: am Samstag, den 29.10. findet ebenfalls im Übersee-Museum eine weitere Veranstaltung mit Musik und Tanz aus Indien statt.
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