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DIE ALTEN HERREN DER NEUEN MUSIK

 ■  YIN YANG YUN - DIDELDUM

Berlin heißt ja jetzt Ort des Neuen. Und es gibt reihenweise alte Herren in der Neuen Musik, die mit Fug und Recht von sich sagen können: Ich bin ein Berliner. Die Festwochen veranstalten also eine Reihe 'Komponistenporträts‘ im neuen Kammermusiksaal - acht mal drei Konzerte jeweils am Wochenend.

Lange Liegetöne, abgelöst von geschwätzig filigranem Ornament. Stehende Klänge mit betörenden Glissandi, schwebendes Tremolo und neuerdings wieder brave Terzen. Weiche Streicher, spitze Bläser. Laut und leise. Tief und hoch. Dideldü, dideldum. Die Bilderwelt dazu stellt sich von selbst ein: Unten und Oben, Licht und Schatten, Ruhe und Bewegung, Krieg und Frieden, Mann und Weib, Yin und Yang.

Der Berliner Hochschulprofessor Isang Yun hat immer schon sehr schöne Musik komponiert, selbst die frühen zwölftönigen Stücke kommen auf Sammetpfoten daher. Das macht erstens die asiatische Weisheit - der Komponist verfügt nämlich, wie alle Welt (z.B. vom 11.12.84) weiß, über ein „unauflösbares Koreanertum“ - und zweitens sein gediegenes Handwerk, denn er hat es erst in Japan, dann in Deutschland von der Pike auf erlernt. Yuns Markenzeichen ist der musikalische Brückenschlag vom Orient zum Okzident. Dazu kommt eine bewegende Biographie - 1967 wurde Yun mit einer Reihe anderer koreanischer Intellektueller vom Geheimdienst nach Seoul entführt, als Spion verklagt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Die Bundesregierung machte in der Affaire keine gute Figur, Lübke sonderte die üblichen Sottisen ab, und selbst die Westberliner Akademie der Künste konnte sich nicht aufraffen zu klarer Solidarität woraufhin Henze und Dessau austraten aus dem Verein.

Yun wurde 1969 begnadigt und nach seiner Rückkehr deutscher Staatsbürger. Er kriegt seither nur noch gute Kritiken und reichlich Kompositionsaufträge - schrieb vier Opern (z.B. eine für die Münchner Olympiade) und fünf satte Sinfonien (z.B. für die Festwochen). In Nord- wie in Südkorea ist der Komponist eine wichtige kulturelle Integrationsfigur geworden - hierzulande aber bräuchte er bald Schutz vor seinen Freunden: etwa vor den Altlinken der Musikwissenschaft, die immer noch die „Dialektik von Musik und Politik“ in Reinkultur suchen und neuerdings bei Yun „das spiralartige Vor- und Aufwärts der Befreiung deutlich“ heraushören.

Oder vor asienreisenden Literatinnen. Frau Luise Rinser nämlich nahm Yun - putt, putt, putt - unter die Fittiche und hat ihn seither dort mit tiefer Betroffenheit bebrütet. Hört auch so Einiges heraus: Das „Cello ist der Mensch“, die Oboe „die Stimme des Gefangenen im Kerker“ und das Hornsolo dann jenes höhere Wesen, das wir alle verehren. Oben und unten. So schlicht und ergreifend geht es mitunter zu in der Neuen Musik.

Elisabeth Eleonore Bauer

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