: Frauen, die unsichtbaren Wesen
■ Tagung der "Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung" in Berlin / Zum ersten Mal mit Frauenschwerpunkt
Sexualität ist eine komplizierte Angelegenheit, das weiß man, auch wenn man sich nicht auf wissenschaftliche Tagungen begibt. Begibt man sich aber dorthin, so stellt man fest, daß das Verhandeln der Begleitumstände dieser komplizierten Angelegenheiten dazu führt, sie selbst samt und sonders aus dem Blickfeld zu verbannen.
Die 16. wissenschaftliche Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung tagte von Donnerstag bis Samstag in Berlin. Der erste Tag war ein Frauentag. Nicht ausdrücklich ein Frauentag, es waren auch Männer als Referenten geladen aber es war schon etwas Außergewöhnliches, wenn dieser Tag thematisch ausschließlich den Versuchen über Sexualität, Aggression und Gewalt gewidmet war.
Das erste Mal in der Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung ging es öffentlich so explizit um Frauen. Und so ausdrücklich, wie es um Frauen ging, so hoch waren die Erwartungen und so tief waren die Enttäuschungen hinterher. Obwohl es um den Zusammenhang von Sexualität und Gewalt gehen sollte, für den verschiedene Annäherungen vorgesehen waren wie z.B. zur „Gewalt der Bilder“ von Gertrud Koch oder zur „Antipornografiedebatte“ von Irene Stöhr oder zu „Gewalt und Aggression“ von Eberhard Schorsch, gelang es bis auf eineinalb Ausnahmen (Thürmer-Rohrs „Mittäterinnen“ und Sadkonzinskys „218“) auf höchst dubiose Weise, die Gewalt an Frauen aus dem Spiel zu lassen.
Wer nicht zufällig gleich am Morgen dagewesen ist, als Christina Thürmer-Rohr über die mehrfach in der taz besprochene „Mittäterinnenschaft“ referierte, konnte mit dem Eindruck nach Hause gehen, daß Gewalt vielleicht doch nichts mit Sexualität und daß Pornografie mit beiden nichts zu tun hat.
So eine Tagung ist Widerspiegelung der etwas gehobeneren Diskussion. Was also sagt der Sexualwissenschaftler Eberhard Schorsch aus Hamburg in seinem „Versuch über Sexualität, Aggression und Gewalt“? Er sagt es psychoanalytisch: Aggression und Bewegung bedeuten Lebendigkeit, auf die nicht verzichtet werden dürfe. Sein Thema sind die Polaritäten und die Phantasmen. Er fordert auf, die Verflochtenheit von Aggression und Trieben mitzudenken, das Tiebliche sei bei Mann und Frau vorhanden; versuche man, die Aggression zu eliminieren, täte man auch den Trieb eliminieren. Die Polarität „männlich - weiblich“ sei eine Übertreibung der Phantasie. Diese Überbesetzungen schaffen Übermacht, innere Phantome bemächtigen sich unser. Die Männerbewegung diene dazu, das Bild des Mannes nur zu übermalen. Später bekennt er, ihm habe bei seinem Vortrag die geschlechtsspezifische Wut gefehlt, und man fragt sofort, warum eigentlich. Männer sollen sich empören. Das ist Forderung von Thürmer-Rohr in der sich anschließenden Diskussion. Wieso schämen sie sich nicht, wenn sie von der Gewalttätigkeit anderer Männer an Frauen erfahren, warum platzen sie nicht vor Zorn über dieses so selbstverständliche Unrecht.
Welche Funktion hat das Mittun, wurde Christina Thürmer -Rohr gefragt. Der Mann habe ein existenzielles Interesse daran, daß Frauen die Gesellschaft wie sie ist, in Ordnung finden. Frauen sind tätig, indem sie mitmachen; es gebe wunderschöne Dinge, die Männer gemacht haben, z.B. Orgeln und Autos. Es gebe keine saubere Lösung, um sich da rauszuhalten. Außerdem sei der Mann heute immer noch ein Schutz für die Frau. Frauen seien als handelnde Personen verantwortlich, aber sie sind keine Täterinnen, weil die Täterschaft die „Kulturtat des Patriarchats“ sei. Frauen seien historisch einfach nicht herauslösbar als eigenständige Täterin, meinte sie, denn die Bedingungen der Männergesellschaft durchtränkten alles.
Gegen Spätnachmittag gab es noch so etwas wie einen negativen Höhepunkt, als die Historikerin Irene Stöhr zur „sexuellen Emanzipation und Antipornographiedebatte“ sprach. Es gebe ein großes Bedürfnis bei den Frauen, sich in Fragen Antiporno nicht auf ein Entweder - Oder festschreiben z lassen. Sie findet es peinlich, daß die ??? die Lösung des Pornographieproblems so angehen, daß Frauen zurück in den Opferstatus gedrängt worden, wo doch Mittäterschaft gerade die Opfermentalität aufhebe. Einen Widerspruch sieht sie dort, wo Alice Schwarzer mit ihrer Emma-Politik den „Griff zur Männlichkeit“ forderte, weg vom Mutterbodenhaft -Femininen. Damals (Anfang der 80er Jahre) sei es um ein positives Verhältnis zum Sex gegangen. Heute liege jedoch die Antipornokampagne quer zur Gleichberechtigungslogik der Emma. Die Lust am Anderssein sei nicht Thema bei Emma. Vielleicht hatte sie sich zu scharf auf Emma und zu wenig auf Anti-Porno eingestellt, die Empörung auf ihren Beitrag jedenfalls war außergewöhnlich. „Ist denn hier niemand im Saal, der eine Anti-Pornobewegung verteidigt“, fragte Susanne von Pacensky. Sie forderte Offenheit und bedachte zugleich die Schwierigkeit dabei. Die Verteidigung der Pornographie sei deswegen so leicht, weil sich Frauen immer noch nicht damit beschäftigen, weil Frauen gar nicht wissen sollen, was geschieht.
Monika Frommel, Gutachterin im Memmingen-Prozeß, nannte das Anti-Porno-Gesetzesvorhaben einen „kreativen juristischen Vorschlag“ und war „wütend über den Vortrag“. Und dann fingen sie im Saal an sich zu streiten, ob Alice Schwarzer eher bizarre Züge trägt oder eine mutige Frau sein, und einige fanden das unter Niveau.
Komischerweise haben an dem ganzen Tag höchstens zwei oder drei Männer mitdiskutiert, obwohl doch nur etwas weniger als die Hälfte der rund dreihundert Leute Männer waren.
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