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Israels Wahlkampf im Polio-Fieber

Polio-Virus in Israel / Likud-Chef Shamir muß sich für das desolate Abwassersystem verantworten / Gesundheitsministerin von der Arbeiterpartei wird wegen nationaler Impfkampagne attackiert  ■  Aus Tel Aviv Amos Wollin

Ein überraschend aufgetauchter Polio-Virus ist in Israel zum Wahlkampfthema geworden und hat zu gegenseitigen Anschuldigungen zwischen dem Likud-Block und der Arbeiterpartei geführt: Wer ist verantwortlich - die Gesundheitsministerin Frau Almoslino von der Arbeiterpartei oder Premierminister Shamir als amtierender Innenminister, der den Likud-Block anführt und formell für das mangelhafte israelische Abwässersystem verantwortlich ist. Ein „wilder Polio-Virus“ fand sich fast in der Hälfte aller israelischen Bevölkerungszentren, einschließlich Haifa, Jerusalem und der Umgebung von Tel Aviv. In den Krankenhäusern werden derzeit zwar nur etwa ein Dutzend Polio-Fälle behandelt, aber die Art, wie das Gesundheitsministerium in der Krise agiert, hat allgemeine Panik hervorgerufen: Auf Empfehlung ausländischer Fachleute entschieden die Behörden am Wochenende, die gesamte Bevölkerung unter 40 Jahren so schnell wie möglich gegen Polio zu impfen. Ein enormer Ansturm besorgter Eltern führte zum Chaos. Obwohl zu Beginn der nationalen Impfkampagne eine Million Dosen verteilt worden waren, ging in den öffentlichen Kliniken bereits am Montag der Impfstoff aus. Als erste wurden Angehörige der Armee und der Polizei geimpft. Babies, Schulkinder sowie Erwachsene bis zu 40 Jahren sollen im Laufe dieser Woche geimpft werden. Ausländische Touristen wurden eingeladen, sich kostenlos impfen zu lassen. Potentiellen Touristen wird angeraten, sich vor ihrem Besuch eine vollständige Serie von Polio -Impfungen geben zu lassen. Besonders alarmierend war die Nachricht, daß auch der Tiberias-See von Polio-Viren befallen ist: Der See ist nicht ein beliebter Erholungsort, sondern dient auch als wichtigstes Wasserreservoir des Gebiets um Tel Aviv und von Süd-Israel.

Für Premier- und Innenminister Shamir, ist „die Hysterie über die Bedrohung durch Polio nicht völlig gerechtfertigt“ gewesen. Er sagte gestern vor dem Kabinett, er werde der Regierung am nächsten Sonntag über die Krise berichten und Vorschäge zur Reorganisation der Abwässeranlagen vorlegen. Das Abwässersystem gilt als „eines unterentwickelten Drittweltlandes würdig“ und wird als die öffentliche Gesundheit ernsthaft bedrohend eingeschätzt. Die Gesundheitsministerin Frau Almoslino behauptete, „in Israels Abwasseranlagen tickt eine Zeitbombe. In manchen Regionen ist die Situation schlimmer als nur beklagenswert.“

Offenbar herrschen Meinungsunterschiede auch in bezug auf die Impfung der Palästinenser in den besetzten Gebieten: Ministerin Almoslino sagte, nur die zur Arbeit in Israel Einreisenden würden wahrscheinlich geimpft. Aber der Immunologe Professor Morag aus dem Gesundheitsministerium kündigte an, alle Araber am Westufer und in Gaza würden geimpft, „sobald wir mit der Impfung in Israel fertig sind“. In der 'Jerusalem-Post‘ lautet ein Kommentar: „Zu den vielen innerisraelischen Themen, die die Qualität unseres Lebens ausmachen, werden Arbeiterpartei und Likud mit Sicherheit ihr Kopf-an-Kopf-Rennen um die schlechtestmögliche Lösung fortsetzen.“

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