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Konflikt in der DDR um Zensur spitzt sich zu

■ Festgenommene DemonstrantInnen in Ost-Berlin wieder freigelassen / Sie hatten gegen Zensur einer Kirchenzeitung protestiert / Seit Monaten setzt bei der Kirche die Schere an / DDR-Konsistorialpräsident spricht von Stellvertreterkrieg und Ringen in den Machtapparaten

Berlin (ap/taz) - Zivile und uniformierte Polizisten der DDR haben am Montag nachmittag rund 50 Demonstranten vorübergehend festgenommen und einen Schweigemarsch von 200 Personen gegen die Zensur von Kirchenblättern aufgelöst. Westliche Kamerateams und JournalistInnen wurden bei der Polizeiaktion nahe dem U-Bahnhof Spittelmarkt teils gewaltsam bei ihrer Arbeit behindert.

Die Demonstranten hatten sich im Konsistorium der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg getroffen und wollten zum Presseamt des Ministerrats marschieren. Ihnen wurden Transparente aus den Händen gerissen, auf denen unter anderem zu lesen war „Pressefreiheit für 'Die Kirche'“, eines der in der jüngsten Zeit häufiger zensierten Blätter.

Beamte der Volkspolizei und des Ministeriums für Staatssicherheit versuchten den Marsch bereits nach 100 Metern zu stoppen. Als sich die Demonstranten dennoch weiterbewegten, griff die Polizei gewaltsam ein. Die 50 Festgenommenen wurden unter den Augen von zahlreichen Passanten in insgesamt vier Mannschaftswagen geladen und abtransportiert. Ein Großteil von ihnen stieg aus Solidarität mit rund einem Dutzend der zuerst Festgenommenen freiwillig in die Fahrzeuge.

Nach Einschätzungen von Beobachtern und Beteiligten reagierten die Behörden ausgesprochen hektisch. Bereits kurz nach 21 Uhr verbreitete 'adn‘ eine Eilmeldung, wonach „alle 80 Personen“, die am Montag nachmittag dabei „festgestellt“ worden seien, wie sie „öffentlich gegen staatliche Ordnungsmaßnahmen auftraten“, mit einer Verwarnung entlassen worden seien. Anderen Quellen zufolge zog sich die Entlassung der Festgenommenen jedoch bis nach Mitternacht hin.

Seit Monaten bereits schwelt der Konflikt um das Wochenblatt „Die Kirche“. Immer wieder griff die Zensur ein. Zuletzt durfte ein Fürbittgebet für die zur Zeit in Magdeburg tagende ökumenische Versammlung von 19 DDR-Kirchen nicht vollständig gedruckt werden. Die Zeile: „Herr hilf, daß der Prozeß der Erneuerung in unserem Lande fortgesetzt werde“, war kritisiert worden.

DDR-Konsitorialpräsident Manfred Stolpe hatte die Zensurmaßnahmen als „absolut unerträglich“ bezeichnet. Stolpe äußerte den Eindruck, daß mit der Kirche ein Stellvertreterkrieg geführt werde und zur Zeit „ein Ringen in den Machtapparaten über den künftigen Weg in der DDR“ im Gange sei. Kirchenvertretern sei in den letzten Monaten von staatlichen Gesprächspartnern häufiger der Hinweis gegeben worden, daß Ende des Jahres in der DDR manches personell anders aussehen würde.

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