: Welcome to L.A.
■ „Midnight Run“ von Martin Brest ist kein „großes Kino“, bietet aber mit zwei großen (männlichen) Schauspielern Kurzweil in Perfektion. Ein Film (fast) ohne Frauen
Wenn in einem Film nach etwa zwanzig Minuten die erste Frau auf der Leinwand erscheint, könnte sich leicht der Eindruck einstellen, es handele sich um einen dieser unverbesserlich frauenfeindlichen Machwerke, die schon so vielen KinobesucherInnen die Zornesröte ins Gesicht trieb. Wenn ferner nach diesem Zehn-Sekunden-Auftritt, der übrigens auch ihr einziger bleiben wird, weitere zwanzig Minuten verstreichen, bis die zweite Darstellerin als Ex-Ehefrau eines Polizisten weinerliches Familiengeheul vortragen muß, um ebenfalls danach abzudanken, dann könnte sich dieser Eindruck bereits zur Gewißheit verstärkt haben.
Könnte, muß aber nicht. Martin Brests viertes Kinowerk Midnight Run versucht so ungefähr alle denkbaren Möglich -und Unmöglichkeiten des Genres „Action-Comedy“ in Szene zu setzen, doch Frauen kommen (fast) nicht vor. Dies mag an sich überaus verwerflich sein, schließlich geht es um die Ausgrenzung der Hälfte der Weltbevölkerung, aber es muß halt nicht.
Der Regisseur von „Beverly Hills Cop“ hat dafür zwei großartige Männer verpflichtet, die allein einen Kinobesuch wert sind. Jack Walsh (Robert De Niro), ein Ex-Bulle, der mittlerweile als Kopfgeldjäger Kriminellen nachsetzt, die nur auf Kaution dem Gefängnis entronnen sind, hat einen überaus verzwickten Auftrag übernommen. Er soll Jonathan Mardukas (Charles Grodin), den „Duke“, in New York aufspüren, um ihn für ein Kautionsbüro in Los Angeles abzuliefern. Fünf Tage bleiben ihm dafür Zeit, um Mitternacht des letzten Tages müssen beide in Kalifornien erscheinen, ein Midnight Run also. Wenn nicht, verliert der clevere Jack 100.000 Dollar Honorar und sein Boß annähernd das Fünffache an Konventionalstrafe.
Diese Ausgangssituation reichert Mit-Produzent Brest aller
dings um ein paar unheilbrin gende Details an. Denn der liebenswürdige plumpe Duke mit dem klobigen Kopf wie ein Schokoklicker hat der Mafia mal 15 Millionen Mäuse geklaut, als er merkte, für wen er da in gutem Glauben arbeitete. Überdies behielt die Buchhalterseele von der Statur eines grauen Elefanten das Geld nicht für sich, sondern verteilte es an karikative Organisationen. Zudem, der amerikanischen Jurisdiktion ist auch die Mafia als Geschädigte recht, ist der FBI in Gestalt ihres nicht minder schwergewichtigen Agenten Alonzo Mosley (Yaphet Kotto) hinter Mardukas her. Doch das ist längst nicht alles. Mosley läßt sich von De Niro/Walsh den Dienstausweis aus der Tasche fingern, mit dem dieser fortan zu des Cops Lasten eine ganze Menge Unfug treibt.
„Das ist Amerika!“, entfährt es Walsh in der ersten Klasse des Flugzeuges nach L.A. stolz, als er die Speisekarte betrachtet. Doch im nächsten Moment stehen er und sein Gefangener, den er kurzerhand ausgetrickst und überwältigt hat, wieder draußen. Der renitente Bursche mit dem Charme eines Hermann Kieselhorst legt ihm nämlich eine Flugangstnummer aufs Parkett, die sich gewaschen hat. So steigen sie kurzerhand in einen Zug an die Westküste um, denn genügend Zeit bis zur Stunde Null verbleibt ihnen. Aber weit gefehlt. Ein Kollege der Kautionsjäger-Zunft ist ebenfalls auf ihren Spuren, und Mosley und die Mafia bleiben auch nicht untätig.
Von nun an gibt es kein Halten mehr. Raus aus dem Zug, rein in einen Bus. Schießereien, explodierende Helikopter, die Flucht im gestohlenen Auto und selbst zu Fuß, nichts bleibt ihnen erspart. Und immer der Dead-line um Mitternacht entgegen.
Midnight Run ist auch die Geschichte einer Annäherung zwischen zwei Männern. Dem fein
nervigen Duke gelingt es immer wieder, ein neues Puzzleteil des Charakters seines Gegenübers zu entblößen und zu einem Bild zu formen. So offenbart der Kopfgeldjäger inmitten der turbulenten Situationen immer wieder eien latente Gebrochenheit, die De Niro schon in Taxi Driver und in King of Comedy so wohlbalanciert zu vermitteln wußte. Das „show-down“ hinterläßt Sieger und Besiegte und ein bestimmt atemloses Publikum. „Welcome to L.A.“ steht da auf einem Transparent und es klingt wie eine Erlösung.
Midnight Run ist kein „großes Kino“, für wahr. Dafür bietet er aber Kurzweil in Perfektion und das ausnahmsweise mal ganz ohne Frauen.
Jürgen Francke
Söge 1, 15.15, 17.45, 20.15
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