: Kinder hassen es, anders zu sein
■ Gunter Göckenjan sprach mit Shawn Slovo, der Drehbuchautorin von „Zwei Welten“
Gunter Göckenjan: Mußtest du deine Lebensgeschichte ändern, um ein Drehbuch daraus machen zu können?
Shawn Slovo: Das Problem beim Drama ist, daß alle Einzelteile zusammenpassen müssen. So funktioniert das Leben natürlich nicht. Die Tatsachen und Erlebnisse führen im Leben nicht eins zum anderen. Deshalb mußte ich einige Szenen erfinden oder sie an eine andere Stelle setzen. Essenz und Geschichte sind grausam wahr, das sind die Ereignisse unseres letzten Jahres in Südafrika.
Verändert sich die Beziehung zu den eigenen Erlebnissen, wenn man sie zu Fiktion umarbeitet?
Ich bin sicher, es hat einen Effekt, aber ich weiß noch nicht ganz genau, was diese Bearbeitung der Vergangenheit für meine Gegenwart bedeutet. Es hat mir geholfen, mit der Beziehung zu meiner Mutter fertig zu werden. Ich konnte plötzlich ihre Situation anders sehen, die Art des Drucks, unter dem sie stand. Sie war eine Frau, Mutter, Journalistin und Aktivistin in der Zeit vor dem Feminismus. Und sie arbeitete mit schwarzen Afrikanern, die sehr traditionell dachten: Die Frauen mußten da noch zehn Schritte hinter den Männern gehen. Probleme gab es auch innerhalb der Organisation. Das alles wußte ich auch vorher schon, theoretisch, durch die Arbeit am Drehbuch habe ich es aber nacherlebt. Was ich meinen Eltern vorwerfe: Sie haben unsere Ängste nicht ernst genommen. Immer haben sie uns erzählt, das alles wieder gut würde. Zwischen dem Schutz der Kinder und dem bißchen mehr geben, dazwischen liegt eine Welt! Im Film sagt Molly: „Du bist nicht fair.“ „Du hast recht“, antwortete die Mutter, „es ist nicht fair.“ Sie hätte mehr zugeben müssen. Ich finde, das darf ein Kind verlangen. Wenn man die Umstände verharmlost, nimmt man das Kind nicht ernst.
Glaubst du, daß Kinder damit umgehen können?
Oh ja, sehr viel mehr, als mit Ausreden, Ausweichen und Ausschließen. Trotzdem, ich könnte mir keine anderen Eltern wünschen. Man erbt eine Menge von Eltern, die in diesen Kampf verwickelt sind. Außerdem hatten sie ein fantastisches Leben, dynamisch und bunt, sie gehörten zu den wenigen Weißen in Südafrika, die sozialen Kontakt hatten zu Schwarzen. Aus der Balance entstand Vitalität. Die Zeit war aufregend und es herrschte Optimismus und der Glaube an die legale Veränderbarkeit. (Erst mit Sharpeville, 1960, wurde der Weg des heutigen Südafrika zementiert.
Ist der Preis für die politische Aktivität die Vernachlässigung der Familie?
Meine Eltern würden sagen: ja. Meine Mutter hat noch vor ihrem Tod gesagt, wenn sie gewußt hätten, wie sich die Situation in Südafrika entwickeln würde, hätten sie keine Familie haben wollen. Mein Vater formuliert das so: mein Kind oder die Kinder...
Wie ist denn deine politische Position?
Ich ging in die Filmindustrie, um weit weg zu sein vom Betätigungsfeld meiner Eltern. Ironischerweise geht mein erstes Drehbuch von der Politik des ANC aus.
Wo liegt die Ironie?
Ich kenne Kinder von Aktivisten im Exil, die eine totale Abneigung gegen die Politik ihrer Eltern haben, die in den Vororten wohnen, als Elektriker arbeiten und Margret Thatcher wählen. Oder andere, die automatisch ihren Eltern folgen. Ich glaubte, von diesem Entweder-Oder frei zu sein. Erst die Distanz brachte mich ihnen wieder näher. Ich bin allerdings nicht aktiv in dem Sinne, wie es meine Eltern sind, mein Engagement wird sichtbar in dem Film. Ich unterstütze den Befreiungskampf durch den African National Congress. Mein Coming-out fand durch diesen Film statt: Letzte Woche war ich in Rom, wo der Film vor der Abgeordnetenkammer gespielt wurde, als Teil einer Antiapartheidskampagne, nächste Woche bin ich in Toronto, dort wird er den Common-Wealth-Ministern vorgeführt, im Rahmen einer Boykottveranstaltung. Ich werde wie meine Mutter, ich muß reden. Auf einmal reden zu können, war für mich ein großer Schritt.
Du hast die politische Wirkung nicht geplant?
Nein, ich wollte es als Mutter-Tochter-Geschichte schreiben. Darin liegt etwas Verallgemeinerbares. Die Politik ist Teil der Personen, und natürlich wird ein Film über Südafrika immer ein politischer Film.
Wie findest du Attenboroughs „Cry Freedom“?
In Europa half er uns enorm, in Amerika hat ihn kaum einer gesehen. Er war für uns eine Art Wegbereiter, der den Hintergrund zeigt, vor dem unsere Geschichte stattfindet. Es gibt endlose Erklärungen, warum schwarze Familien getrennt leben usw. In England hatte der Film ein Anwachsen des ANC um 30 Prozent zur Folge.
Das wundert mich, „Cry Freedom“ ist ein so schlechter Film.
Ja, das Problem ist der Woods-Teil der Geschichte: Seine Beziehung zu seiner Frau, seinen Kindern, seinem Hund, seiner Schwiegermutter, seinem Auto usw. Biko dagegen ist eine Nebenfigur.
Hat sich deine Einstellung zu deiner Mutter verändert?
Ich glaube schon. Gegen Ende ihres Lebens waren wir in der Lage, über die Vergangenheit zu reden. Wir begannen, unsere sehr unbeständige Beziehung neu zu definieren, und wir konnten über meine Wut reden und über ihr Schuldgefühl. Sie hatte sich verändert, war entspannter. Sie half in Mosambik, das politische System aufzubauen, und sie gab dort Unterricht. Dann wurde sie ermordet. Ich fühlte den Drang, das Gespräch fortzuführen, deshalb begann ich mit dem Drehbuch.
War deine Mutter für das südafrikanische Regime immer noch eine Bedrohung?
Sie war nicht so exponiert wie mein Vater, trotzdem war sie in vieler Hinsicht eine noch größere Bedrohung, aufgrund ihrer Planungs- und Lehrtätigkeit. Sie wohnte zwar in Mosambik, aber ihre Arbeit betraf das ganze Grenzgebiet. Sie war eine extrem kraftvolle Frau mit einer internationalen Reputation. Zum Beispiel hat sie die Finanzierung einiger Projekte durch Schweden und Norwegen initiiert.
Hast du Angst?
Manchmal. Allerdings, je mehr ich mich exponiere, desto weniger Angst habe ich. Wenn sie mich kriegen wollen, ist dies nicht der richtige Zeitpunkt: Das würde dem Film noch mehr Beachtung schenken. Trotzdem fürchte ich mich oft und halte mich an die Sicherheitsempfehlungen.
Wird der Film in Südafrika gezeigt?
Wir haben versucht, ihn auf ein Festival zu schicken, aber er wurde verboten.
Das beweist, daß er nicht harmlos ist.
Genau, aber wenn ich an deren Stelle wäre, hätte ich ihn durchgelassen. Die Reaktion zeigt auch ihre Panik. Ihre größte Arbeit besteht darin, die wachsende internationale Verdammung der Apartheid zu stoppen. Das ist so unmöglich, wie eine Dampflok mit den Händen aufzuhalten.
Ich habe mich gewundert, daß der Film keine Wut zeigt.
Die ersten Entwürfe waren voller Wut und auch Selbstmitleid. Der Kampf des Schreibens bestand für mich darin, zu sagen, was ich sagen wollte, ohne die Wut, die ich damals fühlte. Wenn jetzt der Mörder meiner Mutter durch die Türe käme, ich würde überhaupt nichts fühlen... Wer weiß, vielleicht schmeichle ich mir auch nur damit, daß ich keine persönlichen Rachegefühle mehr habe.
Wie waren deine Erfahrungen mit dem Exil?
Das war immer schwierig für mich. Obwohl ich seit meinem 14.Lebensjahr Britin bin, fühle ich mich hier nicht zu Hause. Ich bin nirgendwo verwurzelt. Mit 14 nach London zu kommen, war sehr schmerzhaft. Alles was man in dem Alter will ist, dazuzugehören. Kinder hassen es, anders zu sein. Und wir waren anders: Wir sahen anders aus, und wir hatten den schlimmsten südafrikanischen Akzent. Das war extrem unmodern und stempelte uns als Provinzler ab. Das in der Zeit der Beatles, der Mods und Rocker.
Auch dein Vater lebte in Südafrika im Exil.
Ja, er kam mit neun Jahren. Er arbeitete in einer Fabrik mit Schwarzen, tat die gleiche Arbeit wie die und bekam mehr Geld dafür. Damit begann es für ihn. Er war sein ganzes Leben lang staatenlos. Damals mußte man volljährig sein, bevor man die Staatsbürgerschaft bekommen konnte. Mit 21 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei und das disqualifizierte ihn automatisch. Hier in England war es dann das gleiche, aus den gleichen Gründen.
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