Hinaus aus Wien mit dem Schuft

■ Gestern feierte das Wiener Burgtheater seinen 100. Geburtstag Die dafür geplante Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“ wurde zwar verschoben, empört aber dennoch bereits sämtliche Politiker

Wieder einmal stehen Burgtheaterdirektor Claus Peymann und sein Lieblingsdichter Thomas Bernhard im Mittelpunkt der öffentlichen Erregung. Anlaß ist die für 4. November geplante Uraufführung von Bernhards Heldenplatz. Das Stück sollte bereits zum 50. Jahrestag des „Anschlusses“ im März, dann zum gestrigen 100jährigen Geburtstag des Burgtheaters gespielt und mußte wegen Umbesetzungen jetzt noch einmal verschoben werden: Schauspieler des „alten Ensembles“ hatten ihre Rollen zurückgegeben. Man hatte sie zwar gebeten, den bis zur Premiere streng geheimgehaltenen Text wieder abzuliefern, aber offenbar hat ein Schauspieler den Text kopiert und den Zeitungen zugeleitet. Die Veröffentlichung einiger aus dem Zusammenhang gerissener Textpassagen - wie üblich beschimpft Bernhard Österreich und die faschistoide Gesinnung seiner Bewohner - im Massenblatt 'Kronenzeitung‘ hat nun Vertreter aller Parteien auf den Plan gerufen. Selbst Waldheim fühlt sich verpflichtet, in den Chor der Kritiker einzustimmen: „Wenn die Freiheit der Literatur und Kunst in einer Art und Weise mißbraucht wird wie in dem Stück Heldenplatz, dann ist das Burgtheater nicht die Bühne für eine solche Aufführung. Ich halte dieses Stück für eine grobe Beleidigung des österreichischen Volkes und lehne es daher ab.“ Bernhard nennt in dem Stück, das nach dem Platz benannt ist, auf dem am 13. März 1938 die Wiener Adolf Hitler feierten, Waldheim „einen Lügner“.

Bundeskanzler Vranitzky - den Bernhard wegen dessen Vergangenheit als Bankier als „pfiffigen Börsenspekulanten“ bezeichnet - ist nicht so beleidigt, dafür aber Vizekanzler Alois Mock. Er sei dagegen, daß globale Beschuldigungen der Österreicher mit Steuergeldern finanziert würden. FPÖ-Chef Jörg Haider kommentierte mit einem Zitat von Karl Kraus: „Hinaus aus Wien mit diesem Schuft.“

Die Vorsitzende der Grünen Freda Meisner-Blau regte sich über Bernhards Mangel an Mut auf, daß er diesmal nur allgemein beschimpfe und keine Namen nenne. Nur der Grünen -Kultursprecher, der ehemalige Schauspieler Herbert Fux, verteidigt Peymann und Bernhard. Der Bochumer habe das Burgtheater aus seiner Bedeutungslosigkeit der letzten Jahrzehnte herausgeholt.

Peymann selbst ist ob der Angriffe aus konservativen Kreisen in seinem Element: „Hier steht die ahnungslose Provinzpolitik Kopf und gibt sich ungeniert der Lächerlichkeit preis. Aufgebrachte Politiker ereifern sich über ein Theaterstück, von dem sie außer ein paar Sätzen nichts kennen.

Mittlerweile verlautet aus der Gerüchteküche der gewöhlich gut unterrichteten Wiener Cafehaus-Kreise, es solle sich bei den veröffentlichten Textpassagen um eine Collage aus anderen Bernhard-Texten handeln, die in der Hoffnung auf die Empörung der Politiker der 'Kronenzeitung‘ zugespielt wurden.

Natürlich geht es auch wieder um Peymann. Vergangenen Sonntag trat im Fernsehen Erika Pluhar als Mitglied des alten Ensembles auf: „Die Burg ist zu groß für Peymann.“ Er sei offenbar nur zu regieren fähig, wenn er einem Theater seinen Stil aufzwingen könne. Dies sei bei der Vielfalt und Größe des Hauses und bei den vielerlei Individualiäten im Ensemble unmöglich. Er vergeude seine Kraft am falschen Objekt. Und Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek betont zwar, sie würde das Stück nicht verbieten, aber wenn sie Theaterdirketorin sei, würde sie es nicht aufführen und als Autorin hätte sie es gewiß nicht geschrieben. (Das hätte sie wohl auch kaum gekonnt.) Gegenüber der Zeitung 'Die Presse‘ ließ sie durchblicken, daß sie für den äußersten Fall bereits einen Nachfolger bereithält: „Einen zwar nicht spektakulären, aber effektiven Mann, einen Manager, keinen Schauspieler.“

Daraufhin solidarisierte sich die österreichische „IG Autoren“ mit Peymann und Bernhard. Sie kritisiert die „Vorzensur“, die in der Polemik um das Stück stattfinde. Vor allem gegen Peymann werde „im Sinne einer neo-nazistischen Ausländer-Raus-Bewegung“ polemisiert.

Wie recht sie damit hat, beweist eine Anfang der Woche von Peymann in kleiner Runde berichtete Geschichte: Thomas Bernhard wurde im Nobelbezirk Döbling auf der Straße von einem Bürger angefallen und mit dem Spazierstock geschlagen. Womit die österreichische Realität die literarische Fiktion wieder einmal überflügelt haben dürfte.

Oliver Lehmann