: Kaviar, Pellkartoffeln und die Medienpolitik
■ Liberale sind entsetzt über die Folgen der eigenen Medienpolitik / Dünngewebte Musikteppiche über den Äther statt aufbauendem Zeitungslesen / Anspruchsvolle Integrationsprogramme für „signifikante Minderheiten“
Die Wellen sind über ihnen zusammengeschlagen: die Musikteppichwellen, die SAT-1-Wellen, die RIAS-Staats-TV -Wellen, die kabelgebundenen Schwachsinnswellen, die Medienvielfalt die angeblichen Auswahlmöglichkeiten für den mündigen Bürger.
Der Titel der FDP-nahen Veranstaltung (Friedrich-Naumann -Stiftung: Noch eine Chance für das gedruckte Wort? Die Zukunft der Printmedien) am Samstag war länger als die Liste der brauchbaren Vorschläge, wie Medien und Menschen in Berlin nach nicht einmal einem Jahrzehnt FDP/CDU -Medienpolitik vor der völligen Verblödung zu retten sind. Daß dem so ist, wurde bei einer Podiumsdiskussion vor 20 liberalen Bildungsbürgern nicht bezweifelt: vom Rückfall in die Zeit der „audiovisuellen“ mittelalterlichen Moritatensänger beim Fernsehen sprach Hans-Dieter Jaene, Ex -Chefredakteur der Deutschen Welle und daher dem ausführlichen Wortbeitrag zugetan.
Daß die Hälfte der Jugendlichen keine Zeitung liest, schockte Manfred Rexin (RIAS 1). Daß der FDP-nahe Betonfunk 100,6 immer noch und unaufhaltsam die Leute mit seinem unkritischen Schwachsinn anzieht, entsetzte die meist ältlichen Zuhörer, die besonders um Bildung und Urteilskraft der Jugend fürchteten. Warum eigentlich? Hatte nicht die liberale Carola von Braun, Frauenbeauftragte, dem Schamoni -Programm durch ihre Mitgliedschaft im Kuratorium gesellschaftliche Akzeptanz und Startkraft verliehen?
Jetzt sind die freigesetzten marktwirtschaftlichen Kräfte, nicht mehr zu bremsen. Jetzt, so wurde immer wieder gefordert, müsse die Schule ran und mündige Bürger produzieren, die mit den 30 Knöpfen auf der Fernbedienung verantwortlich umgehen können. Jaene mahnte ein ums andere Mal, Zeitungen und anspruchsvolle Integrationsprogramme für „signifikante Minderheiten“ (er meinte sein gebildetes, elitäres Umfeld, das sich bei der permanenten Vielfalt a la „Dallas“ langweilt) zu erhalten. Diesen „Kaviar“ könne man dann den Leuten „schmackhaft machen“, die sonst nur „Pellkartoffeln“ äßen. Nun schwimmen die kaviarproduzierenden Öffentlich-Rechtlichen Stör-Sender wie der SFB bekanntlich mit dem Bauch nach oben, woran, wie der Medienkenner Fred Graetz betonte, nicht die Sender, sondern die Politiker Schuld sind. Frau von Braun zog daraus den falschen Schluß: Sie wolle darüber nachdenken, den Einfluß der Parteien „zurückzufahren“.
Wenn man aber, wie sie, die Verhältnisse in der Medienlandschaft „hoch-undemokratisch“ findet, und erkennt, was die eigene Partei mit in Schutt und Asche gelegt hat, dann heißt es jetzt: Ärmel aufkrempeln und, nach Art der Trümmerfrauen, den Wiederaufbau der demokratischen Medien selbst in die Hand nehmen.
Thomas Rogalla
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