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Manchmal vergehen die Tage ...

Es ist wirklich schon furchterregend, was im Laufe des Tages an unserem Küchentisch so zusammengequatscht wird.

Nicht daß es so wäre, als hätte sich die meist um die Mittagszeit zum Kaffeewegtrinken in unsere schmucke Wohnung einfallende Gesellschaft nun überhaupt nichts Substantielles mehr mitzuteilen - oh nein! Liegt ein knallhartes Top -Ereignis wie „Drei Goldmedaillen für Deutschland“ oder „Botha in der Frauenkirche“ vor, so ist es durchaus üblich, daß sich ein für alle Beteiligten eindrucksvolles, erfrischendes und lehrreiches Gespräch ergibt, über das es ruhig schon mal Abend werden kann, ohne daß sich anschließend auch nur eine Person erregen würde, von wegen „verplemperte Zeit“ und so weiter.

Wenn hingegen wie heute wieder Sport und Politik kein gescheites Schwatzmotiv abliefern, greifen die Freundinnen und Freunde zur Aufrechterhaltung eines konstanten Geräuschpegels meines Erachtens allzu gedankenlos und frühzeitig auf das banal Naheliegende, nämlich auf das zurück, was sie „gestern gesehen“ haben.

Nicht daß ich gestern nicht Fernsehen geschaut hätte, selbstverständlich habe ich, aber dieses wie immer mit kritischer Distanz, größter Konzentration und nicht geringerer Verachtung für das geschaute Programm als auch für meine Person, der ich es zugemutet habe.

Was sich jedoch der Kaffeetrinker Herr Reese - ich zähle ihn nach all den Jahren immer noch zu meinen besten Freunden - was sich dieser Herr Reese heute wieder ganz und gar kraftlos zu diesem „Thema“ zusammenfaselte, das konnte einem schon ganz schöne Pickel machen.

Er wußte ja noch nicht einmal, ob er „es“ gestern oder vorgestern gesehen hatte, und was „das“ denn nun überhaupt war, konnte er „mit absoluter Sicherheit“ auch nicht mehr zum Vortrag bringen. Auf die Fahrigkeit seiner Auslassungen hingewiesen, versuchte er sich nun mit länglichen Bemerkungen über die „mumifizierte Pamela“ herauszulavieren, was ja jetzt wirklich niemanden ernsthaft interessierte. Außerdem hatte er „das ja auch nicht“ tatsächlich gesehen, sondern nur „im 'Gong‘ oder sowas gelesen“. Im übrigen sei sie „wohl erst ausgestiegen bei Dallas, aber in den USA schon wieder drin“, das käme aber „frühestens in einem Jahr bei uns“.

Als er dann anhob, über „die Dinger“ von Pamela zu fabulieren, die er „damals im 'Playboy‘ gesehen“ habe, „es können aber auch die von der anderen Tante gewesen sein“, wurde es uns anderen doch zuviel. Immerhin saßen ja auch zwei Frauen am Tisch. Ich persönlich finde, daß man von einem diplomierten Sozialwissenschaftler einfach genauere Angaben verlangen kann, auch wenn er zur Zeit seinen Lebensunterhalt nur mit Taxifahren und Gelegenheitsarbeiten für das Privatfernsehen verdient. Der Mann ist außerdem schon vierunddreißig Jahre alt.

Ganz im Gegensatz zu Fräulein Horn, die ihre fünfundzwanzigjährige Jugendlichkeit allerdings für meinen Geschmack etwas zu offensiv und kokett nach vorne trägt. Das ist natürlich meistens ausgesprochen hübsch anzuschauen, aber vom geistigen Standpunkt aus betrachtet nicht immer zu ihrem Vorteil. Und selbst wenn man ihr einen gewissen Mädchenbonus einräumen muß, wozu wir Älteren jederzeit stillschweigend bereit sind, selbst dann rechtfertigt dies keineswegs solche einer ansonsten tüchtigen Betriebswirtschaftsstudentin unwürdigen Äußerungen zum Fragenkomplex „Wie krieg‘ ich eigentlich den RTL in meinen Fernseher?“.

Das wiederum war natürlich ein gefundenes Fressen für Herrn Reese, der ja direkt nach der mittleren Reife einen „technischen Beruf“ erlernt hatte und ihr darum riet, sie solle „doch mal an den Knöpfen drehen“, wobei sie „eventuell noch das Lokale und SAT erwischen“ könne, „wenn die Antenne draußen richtig steht“. Hätte sie „alles schon versucht, aber richtig ordentlich ist das sowieso nur mit Kabel“, gab Fräulein Horn zurück, was Herr Reese jetzt bestätigen mußte. Immerhin hatte er kürzlich während eines längeren Berlin -Aufenthaltes in einer „verkabelten WG alles mit Kabel gesehen, auch den Hulk!“.

Die Frau, mit der ich lebe und die bis dahin nur gestrickt hatte, griff nun zum ersten Mal ein. „Was für'n Hulk?“ frug sie, die ihre mehrfach vor Zeugen eingestandene Serienschwäche bisher noch mit dem Landarzt abgedeckt wußte, „was für'n Hulk?“

„Der Hulk ist ein Comic“, klärte ich sie auf.

„Aber auch eine Serie“, meinte Herr Reese, „bei SAT.“

„Ich denk‘ beim RTL“, dachte laut Fräulein Horn, „der Typ vom Mond.“

„Ganz anders wie der Comic, völlig anders“, wußte wiederum Herr Reese.

„Ist der Hulk gut?“, wollte die Frau, die mit mir lebt, wissen.

„Ganz hervorragend“, gab Herr Reese bekannt, allerdings mit deutlich zynischem Unterton, der mich irgendwie hoffen ließ.

Gott sei Dank rief in diesem Augenblick der Gitarrist Krettek aus Essen an und fragte nach, ob er heute Abend bei uns Europapokal gucken könne. So war ich eine Weile aus dem Gespräch mit den anderen und mußte auch keinen Kaffee mehr trinken. Immerhin hatten wir schon vier Kannen geschafft, und ich war ganz schön rappelig geworden.

Nachdem ich mit Krettek die Taktik für das Fußballspiel durchgearbeitet hatte, kehrte ich in die Küche zurück, wo es gerade frischen Kaffee gab.

Ich freute mich, daß alle noch da waren, offensichtlich niemand an Aufbruch dachte und das Gespräch mit mir zusammen weitergehen konnte.

Wir unterhielten uns eine Weile recht spöttisch über Herrn Reeses fettige Haare, und dann gab ich zu, daß ich in den letzten Tagen sämtliche Filme mit Jean Harlow gesehen hatte.

Die Frau, mit der ich lebe und der meine Vorliebe für das blonde Hollywood-Gift natürlich bekannt ist, begann wieder zu stricken, aber Fräulein Horn und Herr Reese hackten dann bestimmt noch zwei Stunden auf mir herum.

Ja, so vergehen manchmal die Tage, und es ist oft furchterregend, wie wir sie gesprächsweise bestreiten. Meistens macht es allen jedoch sehr viel Spaß.

Fritz Eckenga

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