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Gehört der Westen den Republikanern?

„Go west - vote right“: In den Weiten der Wüste Nevadas wird noch klar zwischen hell und dunkel, gut und böse unterschieden  ■  Aus Tonopah-Lee Reed Stillwater

Eine der Kurzgeschichten von John Steinbeck endet damit, daß ein Großvater seinem Enkel gegenüber die Bilanz seines Lebens und die der ganzen Nation zieht: Seine Geschichte wie die seines Landes ist davon bestimmt, daß Amerikaner immer wieder aufbrachen, Altes hinter sich ließen und nach Westen zogen, bis sie eines Tages am anderen Ufer ankamen und es nicht mehr weiter westwärts ging. Und damit hörte Amerika auf, Amerika zu sein: „I guess westering just went out of people“, was man nur unvollkommen mit: „Irgendwie verloren die Amerikaner ihren Drang, westwärts zu ziehen“, wiedergeben kann. „Westering“, Traum und Trauma zugleich einer Nation, die den westlichsten Punkt ihres Territoriums längst erreicht hat, aber am Go-West-Mythos festhält. Doch westwärts ziehen Amerikaner immer noch.

Ich bin den ganzen Tag gefahren. Hinter der ersten Hügelkette, die die Pazifikküste von den dahinterliegenden Tälern trennt, verliert sich der Nebel, der so häufig die Bay Area einhüllt. Ich fahre nach Osten und doch in den Westen. Es ist sonnig und wird immer heißer. Die Spuren der Brände, die diesen Sommer Kalifornien heimsuchten, sind überall zu sehen, man riecht noch den beißenden Geruch.

Tonopah-Lee liegt an einer Straßenkreuzung in der Wüste Nevadas. Tonopah besteht aus her untergekommenen Wohnwagen, aus Halden und ausrangierten Autos aller Generationen, aus zwei alten unbewohnten Villen, aus Motels und aus den in Nevada obligaten Spielkasinos. Das Zentrum Tonopahs besteht aus zwei fünfstöckigen, schönen alten Steinhäusern. Das eine steht leer, das andere beherbergt das Hotel Mizpah. In diesem Hotel sieht alles gediegen aus: Holz, Messing, echte Tapete. Das Hotel könnte einem Film über Amerikas Gründerjahre, über die Boom-Periode im amerikanischen Westen entstammen. Der Luxus des Hotels bildet einen absurden Gegensatz zu dem trost- und schmucklosen Durcheinander draußen. Tonopah verdankt den Silbervorkommen in der Gegend seine Entstehung. Doch Tonopah ist höchst unpittoresk im Gegensatz zu Nevada City. Im Gegensatz zu Nevada City wird in Tonopah noch heute Silber gewonnen, außerdem Gold und Borax. Wahrscheinlich macht das den Unterschied. Wer übernachtet im feinen Hotel Mizpah? Leute auf der Durchreise, Leute, die auf der Route 95 nach Süden oder auf der 6 nach Osten oder Westen wollen. So häßlich Tonopah sein mag, berühmt ist der Ort doch: Hier lebte der Silberbaron Jim Buttler, im Keller des Mizpah Hotels war Jack Dempsey Barman. Im Kellerrestaurant sitzen laut redend und lachend Touristen, vorwiegend Kalifornier, die so tun, als seien sie hier nicht mitten in der Wüste, sondern an der Riviera, bestellen Spaghetti a la Matriciana, Fettucini al pesto. Goldfield liegt etwa 50 Meilen südlich von Tonopah. Auch hier gibt es noch Goldminen, aber kein Hotel.

Lee sagt, wie's ist

Vor einem Country-store sitzt Lee. Lee zu beschreiben, ohne in Klischees zu verfallen, ist fast unmöglich. Fotos von Lee könnten in den Postkartenständern der Drugstores von Tonnopah und Goldfield als Ansichtskarten stehen. Lee ist zwischen 60 und 70, groß und schmal, die leicht gebeugte Gestalt wirkt eher schlaksig. Dreckige Jeans, heraushängendes Hemd mit Perlmuttknöpfen, üppiges aschefarbenes Haar, das in einen ebenso üppigen verfilzten Bart übergeht, staubgelber Lederhut, das Hutband ist mit indianischen Zeichen bemalt, auf dem Hut eine große Silberbrosche, die eine Klapperschlange darstellt, an den ölverschmutzten Händen einen unbequem groß aussehenden Silberring, der einen Adlerflügel darstellt. Lee ist abweisend und mitteilungsbedürftig zugleich, kurz angebunden, um dann doch wieder das Gespräch zu suchen. „Ja, immer noch kommen Leute nach Amerika, und wissen Sie warum, weil wir eine kostbare Kleinigkeit hier haben: Freiheit, auch wenn sie dabei sind, sie einzukreisen und abzuschaffen. Nehmen wir Nevada: Bis vor ein paar Jahren gab es hier weder Steuern noch Sheriffs, in Tonopah gab es einen Sheriff und einen Deputy, hier in Goldfield überhaupt keinen. Heute gibt es in Tonopah sechs Sheriffs und 20 Deputies und in Goldfield vier Sheriffs und zwölf Deputies.“

Wovon die Straßen gebaut wurden, wenn keine Steuern bezahlt wurden? Hier in Nevada gab es bis vor noch gar nicht so langer Zeit mehr Wildpferde als Menschen, da brauchte niemand Straßen. Wann das gewesen sein soll? Noch bis in die 50er Jahre. Amerika ist auf dem absteigenden Ast, Amerika war mal eine große Nation, aber Amerika hat seinen Zenit überschritten, wie das Römische Weltreich: Sittenverfall, Korruption, Anmaßung. Amerika steckt seine Nase in zu vieler Leute Angelegenheit, Amerikas militärische Stärke ist überdehnt, zu viele Orte, an denen Amerika gleichzeitig sein möchte: eine unerwartet aufgeklärte Argumentation für ein so hinterwäldlerisch wirkendes Original. Was er denn glaubt, wie Amerika dieses Jahr wählen wird. „Sie wollen also über Politik reden? Ich werde ihnen mal was sagen. Dieser Dukakis, der kommt aus den Wäldern von Massachusetts, den kennt keiner, der hat von nichts 'ne Ahnung, und der will die Probleme des Landes lösen? Das einzige, was der machen wird, ist, die Steuern zu erhöhen, um den Städtern das Geld in den Rachen zu werfen.“

Genug von den Städtern

Lee hat nicht immer in Goldfield gewohnt. Vorher war er Manager des Mizpah-Hotels in Tonopah. Lee im feinen Mizpah -Hotel? Unvorstellbar! Eigentlich kommt Lee aus Santa Monica, einem der Orte, die zur Megalopolis von Los Angeles gehören. 30 Jahre hat er da gelebt, fünf Kinder großgezogen. Ingenieur ist er eigentlich von Beruf. Als seine Kinder aus dem Haus waren, hatte er genug von der Stadt und hat sich im Westen etwas gesucht. Er hörte davon, daß das legendäre Mizpah-Hotel wieder hergerichtet werden sollte und meldete sich als Handwerker, er hat ein Händchen für Schreiner- und Klempnerarbeiten, avancierte zum Bauaufseher und schließlich zum Manager des Hotels. Doch als das Hotel stand und die Gäste zu strömen begannen, war es dasselbe wie in Santa Monica. Also ist er weitergezogen, hier nach Goldfield, wo er eine Autowerkstatt betreibt und noch andere kleinere Arbeiten macht. Nach Goldfield und in den Westen ist er gekommen, weil hier Ruhe herrscht. Er kann seinen Werkzeugkasten die ganze Nacht auf dem Bürgersteig stehen lassen, anderntags würde der immer noch da stehen.

Lee sieht wirklich beeindruckend aus: Solche Gestalten hat man zwar in Bilderbüchern über den Westen und in Westernfilmen immer wieder gesehen, so jemandem leibhaftig zu begegnen ist wie die unverhoffte Bestätigung, daß es den Westen noch gibt. Ich überwinde meine Scheu und frage, ob ich mir zur Erinnerung an unser Gespräch ein Bild von ihm machen darf. Oh nein: „Alle wollen mich hier fotografieren, manchmal kommen hier Reisebusse durch, und manchmal halten sie hier in Goldfield, die Leute steigen aus und wollen mich fotografieren. Als ich weiterfahre, frage ich mich, was ich da für eine seltsame Begegnung hatte. Lee sieht aus wie ein „Western Weirdo“ und redet wie ein Städter, um dann doch wieder wie ein Hinterwäldler zu argumentieren. Nevada bis vor kurzem noch ein Land ohne Steuern? Mit mehr Pferden als Menschen und ohne Straßen? Das muß wohl mehr so vor hundert Jahren gewesen sein. Lee hat sich den alten Westen neu inszeniert, hat sich verkleidet und spielt seine Rolle so überzeugend, daß Leute von auswärts ihn als Western-Original fotografieren möchten. Lee wird wahrscheinlich überhaupt nicht zur Wahl gehen. Er ist alt, und Amerika ist für ihn am Ende, und bevor er und Amerika sterben, will er noch einmal in Amerika leben, wie es sein soll. Dabei wäre ein Präsident Dukakis nur hinderlich.

Rose vom

Milestone 28einhalb

Rose selbst nennt ihren Schuppen „Rose's Den, the Capital of Nowhere“, die Hauptstadt Nirgendwos. Ihr Restaurant liegt am Highway 93 zwischen Boulder City und Kingman in Arizona. Die Straße verläuft schnurgerade in die unendliche Weite der Wüste, im Hintergrund sind die Silhouetten der Bergketten und der Tafelberge auszumachen. Es ist zehn Uhr früh, und ich habe noch nicht gefrühstückt. Roses Den am Meilenstein 28einhalb, von außen wie eine Bruchbude aussehend, ist drinnen richtig heimelig. Rose wird so um die 60 sein: weißes onduliertes Haar, wie es typisch für die typische american sweet old lady ist, grell geschminkte Lippen und die makellos weiße und welke Haut, wie nur alte Amerikanerinnen sie haben. Ihre Augen aber leuchten, vor allem wenn sie erzählt: Begeisterung, Temperament, Charme und Schalk. Es scheint immer wieder die gleiche Geschichte zu sein: Erst hat sie in Pennsylvania gewohnt, irgendwo mitten in den Wäldern, bis die Zivilisation sie einholte, dann ist sie nach Florida gezogen, wo sie die letzten 17 Jahre gewohnt hat.

Was sie hierher gebracht hat? Die Sehnsucht nach Ruhe, der Wunsch, der Stadt zu entfliehen, die Lust, Sonnenuntergänge in der Wüste zu sehen, das Bedürfnis, neu anzufangen. Die Wüste ist nie langweilig! Wenn sie hier nicht so viel zu tun hätte, könnte sie Tage damit verbringen, nichts anderes zu tun, als dem Wechsel der Stimmungen und Farben in der Wüste im Tagesverlauf und im Jahresgang zuzusehen. Es gibt hier einen Kaktus, der nur nachts blüht. Um das unirdische Blau seiner Blüte zu sehen, muß man vor Sonnenaufgang aufstehen. Wie sie diesen Schuppen gefunden hat? Sie hat ein Dutzend Makler im Westen angeschrieben, und die haben ihr fünf Objekte gesucht. Dieser Saloon war Liebe auf den ersten Blick. Sie ist nach Florida zurückgeflogen und hat innerhalb von sechs Wochen den Haushalt, den sie 17 Jahre lang geführt hat, aufgelöst und ist hierher gezogen: Haus, Mann, Familie, alles hat sie hinter sich gelassen.

80 Prozent ihrer Kundschaft sind Durchreisende, 20 Prozent sind Nachbarn. Nachbarn sind alle Leute in einem Radius von 50 Meilen. Viele Leute kommen auf dem Weg zur Arbeit hier durch, Leute, die in Boulder City oder Las Vegas arbeiten, aber draußen in der Wüste wohnen wollen, wo die Grundstückspreise noch niedrig sind und es keine Kriminalität gibt. Die Nachbarn haben sie sofort akzeptiert: „Rosie, es ist, als hättest Du immer schon hier gelebt.“ Der Raum füllt sich mit Stammkundschaft: ein Lastwagenfahrer, der immer hier durchkommt, ein Farmer, der irgendwo da draußen in der Wüste eine Ranch hat. Ja, Rosie ist hier wie eine Institution, wie ein Fixpunkt, dabei lebt sie hier erst seit vier Jahren. Politik? Über Politik scheinen die Leute hier nicht gerne zu reden. Ob sie die Debatte neulich gesehen haben? Oh ja, sagt einer, das hier ist gutes Gelände für „Quaile hunt“, Rebhuhnjagd (Quayle spricht sich genauso wie das Wort für Rebhuhn). Gelächter. Doch im Nu sind die Leute bei der wirklichen Rebhuhnjagd. Ja, Rebhühner gibt es hier auch, vor allem aber Rehe und Antilopen, manchmal kommen sie bis auf den Highway hinunter und verursachen Unfälle. Die Leute scheinen erleichtert zu sein, ein Thema gefunden zu haben, bei dem sie sich entspannter und sicherer fühlen.

Rose nimmt natürlich kein Blatt vor den Mund. Für Bush wird sie stimmen, nicht für Dukakis. Sie will nicht, daß die Zeiten Carters wiederkommen, die Zeiten hoher Steuern und hoher Zinsen. Sie war Maklerin, bei 20 Prozent Zinsen konnte man weder kaufen noch verkaufen. Carter hat ihr das Geschäft ruiniert. Außerdem hat Dukakis sicher eine geheime Absprache mit Jesse Jackson getroffen und ihm irgendwelche kostspieligen Programme für die kaputten Städte und die städtische Armut versprochen.

Rose paßt nicht auf die Vorstellung einer Rechten oder Konservativen. Sie war in Florida in Drogenentwöhnungsprogrammen tätig. Sie spricht sich für die Legalisierung von Drogen aus. Die Regierung sollte die Drogen zu einem erschwinglichen Preis verkaufen, um die Beschaffungskriminalität einzudämmen, und das Geld in Entwöhnungs- und Rehabilitationsprogramme stecken. Der Kampf an der Drogenfront ist wichtiger als die nationale Verteidigung. Von ihrem Geld hat sich Rose nicht nur diesen Saloon, sondern auch noch Land drum herum gekauft, etwa 100 Hektar. Was sie damit machen wird? Sie lacht, das weiß sie noch nicht. Jedenfalls hat sie sich das Land gesichert. Vielleicht benutzt sie es nur, um sich Leute vom Leib zu halten, vielleicht aber parzelliert sie es und verkauft es als Bauland weiter. Mehr und mehr Leute wollen hier herausziehen. Vielleicht ist da ein Geschäft zu machen, ihre Augen strahlen schalkhaft: Sie selbst würde dann wahrscheinlich wieder ihre Sachen packen und weiter ziehen, nach „Westen“.

Reed Stillwater tourt für die taz vier Wochen durch die wählenden Weiten der USA, einmal quer von Ost nach West. Dies ist seine erste Reportage.

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