: Verbaute Aussichten
■ (K)ein Buch über Architektur im Film
Vorneweg und ohne Umschweife: Mit diesem Buch hätte eine Wahrnehmungs- und Wissenslücke geschlossen werden können. Diese Chance wurde gründlich versiebt.
Was tut eigentlich der Filmarchitekt? Einen rechten Begriff davon haben meist selbst diejenigen nicht, die in nächster Nähe - im Zusammenhang einer Produktion - mit ihm einen Film erarbeiten. So oder so ähnlich lautet der Ausgangspunkt fast jedes Nachdenkens über Filmarchitektur (oder Ausstattung oder production-design oder art-direction oder decoration... Die Namen sind Legion; je nach Sprache, Land, Produktionsgröße und -weise). „Schauspieler, Regisseure, Kameraleute sind bestens bekannt“, so heißt es in Helmut Weihsmanns Buch über Architektur im Film, „nur den Filmarchitekten schenkt man wenig Beachtung, ja oftmals wissen selbst Fachleute und Kritiker nicht, wer einen berühmten Film ausgestattet hat.“ Gut gebrüllt, Löwe, nur, was soll man davon halten, wenn der Spezialist Weihsmann eine Liste von Filmen mit außergewöhnlicher Ausstattung erstellt und offensichtlich nicht in der Lage ist, den Ausstatter von Brazil (1984) herauszufinden, da er, statt John Beard und Keith Paine (art-directors) dort aufzuführen, ein Fragezeichen setzt.
Weihsmanns Beispiele, an denen er das Verhältnis von Film und Architektur expliziert, sind wohlfeile Kabinettstückchen, die man aus jeder Filmgeschichtsanthologie kennt. Nicht, daß ich für Snobismus plädieren möchte - etwa mit der Behauptung, die Ausstattung von Rohmers Vollmondnächte sei besser als die von Fellinis Schiff der Träume (um zwei neuere Beispiele zu nehmen). Ich stelle nur fest, daß originäre Beobachtungen in diesem Buch die Ausnahme sind, und die Ausführungen selten von handfestem Umgang mit dem Gegenstand zeugen. So schreibt Weihsmann: „In seinen besten Hollywoodfilmen The big heat und While the city sleeps rekapituliert der Regisseur seinen Hang zu graphischen Bildkompositionen.“ Gegenzulesen ist folgender Halbsatz: “...da ich selbst die beiden Filme The big heat und While the city sleeps bis jetzt nicht sehen konnte.“
„Liebkost die Einzelheiten, die erhabenen Einzelheiten. Große Ideen sind dummes Zeug.“ Mit dieser einführenden Maxime stimmte Vladimir Nabokov, der spätere Autor von Lolita, die Zuhörer auf seine Vorlesungen ein, und dabei soll er das 'r‘ der 'erhabenen Einzelheiten‘ genüßlich gerollt haben.
Von einem Liebkosen der Einzelheiten kann bei Weihsmann nicht die Rede sein. Gebaute Illusionen ist ein Sachbuch mit einigen großen Ideen (s.o.), in denen es um die Ganzheitlichkeit des Zusammenhangs Film und Architektur gehen soll, unter Berücksichtigung des sozialen, ästhetischen und psychologischen Bezugsrahmens.
Der Terminus 'Sachbuch‘ weckte in mir schon immer schlimme Vorstellungen: Die Domäne der schrägen Bilder, klappernden Vergleiche, schiefen Bezüge und schlechten Sprache. Beispiele: „Von ihrer Unterstellkung, Melies habe das Theater kopieren wollen, einmal abgesehen, scheinen ihre Ausführungen zuzutreffen.“ Treffen sie nun zu? Oder scheinen sie zuzutreffen, treffen also nicht zu? Der Autor meint ersteres, sein Satz dagegen letzteres.
Ein anderes: “...ist zu bezweifeln... läßt sich relativieren, um Bartetzko in seinem zentralen Punkt doch wieder recht zu geben... durchaus nicht zu scheuen brauchen.“ Das ist so recht dazu angelegt, im akademischen Kurs noch weiter durchgewalkt zu werden.
Dann hat's da auch noch die geschmäcklerischen Stilismen: Aus Grauwerten werden Grisaille-Abstufungen, Entwürfe geraten zu Marquetten (statt - wenn überhaupt! Maquetten) und nachmalige Regisseure ergreifen das Wort.
Zwar wird im Verlauf des Buchs immer wieder Atem geholt, aber dann geht der Mut verloren. Es gibt Andeutungen zuhauf, von dienender Architektur ist die Rede, oder von Stimmungsarchitektur, auch von architektonischer Beseelung der Spielhandlung, aber ausgeführt werden diese Begriffe lediglich im Abschnitt „Seelenschau des deutschen Expressionismus - die bewegte Psyche/der bewegte Raum“.
In diesem Kapitel über jene Phase des deutschen Films, in der die Reflexion aus dem Innern der Filmbaumeister-Zunft ebenso wie die theoretische und publizistische „Begleitmusik“ zur Filmarchitektur eine seltene und prächtige Blüte erlebte, stellt Weihsmann pointierte Betrachtungen an über den Zusammenhang des Stillstands der Bauwirtschaft mit dem Drängen der Vertreter eines progressiven Bauens zum Film.
Über die historische Synopse hinaus sucht man allerdings vergeblich nach einer Idee, was Architektur im Film - im Idealfall - eigentlich zu Filmen beiträgt oder beitragen könnte, und ebenso vergeblich sucht man nach einer Untersuchung (oder Spekulation), warum Filmarchitektur und Ausstattung ein Stiefkind der gegenwärtigen Filmproduktion sind.
Weihsmanns bedauernswert unscharfer Blick auf den Beitrag solcher Filme, die sich vorgefundener architektonischer Objekte und Räume bedienen: Was könnte man nicht, um auf das Beispiel zurückzukommen, an Vollmondnächte entdecken; an dieser singulär-universalen Filmerzählung über eine urbane Existenz der achtziger Jahre; über eine junge Frau (Pascale Ogier), die mit ihrem Freund im postmodernen Vorort Marne-La -Vallee wohnt (dort, wo auch einiges von Brazil bedreht wurde), die aber auch noch eine Bude in der Stadt hat; die sich ihr Leben so klar und übersichtlich denkt wie ein Bild von Mondrian, deren Existenz sich so anarchisch abspielt wie ein Gemälde von Pollock; die in ihrer halb improvisierten, halb IKEA eingerichteten Maisonette-Wohnung in der banlieu Amerika von Kafka im Regal stehen hat, in ihrem Pariser Zuhause dagegen Der kleine Prinz...
Ralph Eue
Helmut Weihsmann: „Gebaute Illusionen - Architektur im Film“
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