Vor dem Profit kommt der Bedarf

Der Arzneimittelgigant Hoechst versucht, für seine geplante gentechnische Humaninsulinanlage in Frankfurt künstlich Bedarf zu wecken, um sie in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen / Diabetiker werden durch Verkaufstricks und Druck auf die Ärzte auf das teurere und gesundheitlich problematischere Humaninsulin umgestellt  ■  Von Stefan Schellenberg

Nach dem Erfolg tierischer Insuline seit ihrer Einführung Mitte der sechziger Jahre könnte Insulin noch einmal den Chemiemultis zum Milliardencoup dienen: Es soll zum Vorreiter der gentechnischen Revolution im Gesundheitswesen werden. Humaninsulin ist das bisher einzige von rund zehn durch Genmanipulation hergestellten Arzneimitteln, das wenigstens halbwegs funktioniert. Von TPA bis zu den Interferonen haben alle anderen Pferde, auf die die Genarchitekten gesetzt hatten, längst schlappgemacht. Was bisher aus den Genküchen kommt, ist ebenso teuer wie erfolglos und stets Garant für Nebenwirkungen.

Lediglich Gen-Insulin schien lange Zeit letzter Trumpf im Chromosomenpoker zu sein. 1982 kam das erste mit Hilfe allerdings noch sehr primitiver - gentechnischer Künste hergestellte Insulin in die Apotheken. Schweineinsulin wurde dabei lediglich durch einen enzymatischen Austausch der Aminosäure Nummer 30 des Erbstranges B in sogenanntes „semisynthetisches Humaninsulin“ verwandelt. Mit dieser Errungenschaft ging Hoechst fortan hausieren: Deren neues Insulin würde im Aufbau dem natürlichen Insulin des Menschen entsprechen und sei deshalb besonders gut verträglich.

Ärgerlicher

Schönheitsfehler

Eine Milchmädchenrechnung, wie sich bald herausstellte. Daß Humaninsulin den Zuckerkranken zunächst weniger Allergien und andere Nebenwirkungen als sein tierischer Bruder bescherte, lag an der höheren Reinheit des manipulierten Produktes und nicht an seiner geringfügig größeren Ähnlichkeit zum menschlichen Vorbild. Doch diesen Vorsprung holten die tierischen Insuline von Rind und Schwein durch neue Reinigungstechniken bald wieder auf.

Eigentlich hätten sie die Gen-Insuline im Rennen um die Marktanteile längst hinter sich lassen müssen. Humaninsulin muß nicht nur häufiger als sein Konkurrent gespritzt werden, es hat auch einen ärgerlichen „Schönheitsfehler“ mit Namen „Hypoglykämie“. Die tritt immer dann auf, wenn ein Diabetiker durch Insulinüberdosierung plötzlich zuwenig statt zuviel Zucker im Blut hat. Die Folgen: “... es kommt zu Unruhe, Angst, Zittern, Schweißausbruch, Herzklopfen, Muskelschwäche und schließlich tiefer Bewußtlosigkeit.“

Durch schnellere Zuckerzufuhr könnte der Patient die Notbremse ziehen - wenn er seine Unterzuckerung nur bemerken würde. Doch anders als bei Behandlung mit tierischen Insulinen ist der Blutzuckerspiegel von Diabetikern, die Humaninsulin spritzen, nur äußerst schwer zu kontrollieren. Ohne Vorwarnung kann es zu Bewußtlosigkeit kommen. Verheerend sind die Folgen, wenn der Diabetiker gerade am Steuer eines Autos sitzt oder unbeaufsichtigt spazierengeht. Ein Todesfall geht bereits auf Kosten des Gen-Insulins.

Wer Humaninsulin bereits längere Zeit nimmt und gut daran gewöhnt ist, hat mit Hyperglykämie selten Sorgen und sollte auch nicht das Präparat wechseln. Gerade die Umstellung von einer bekannten auf eine neue Insulinart birgt die größte Gefahr unbemerkter Unterzuckerung.

Technologie-Akzeptanz

Statt den Mißerfolg ihrer gentechnischen Neuheit zu akzeptieren und semisynthetisches Humaninsulin mit geringem marktanteil für diejenigen anzubieten, die speziell bei tierischen Insulinen unter Allergien leiden, blies Hoechst zur Offensive. Mittlerweile war es den Forschern nämlich gelungen, Humaninsulin durch rein gentechnische Verfahren anstelle der kostenträchtigen Manipulation des Schweineinsulins zu gewinnen. Daß die gentechnische Produktion durch mögliche Freisetzung manipulierter Zellen vielfältige Gefahren für Mensch und Umwelt birgt, stört die Genstrategen der Arzneimultis wenig.

Doch nur mit Bedarf nach gentechnischen Arzneimitteln läßt sich in der Öffentlichkeit der Sprung in die gefährliche Technologie rechtfertigen. Und wo es keinen Bedarf gibt, da muß er geweckt werden. Beim Zugpferd Insulin war dies den Verkaufsmanagern von Hoechst und dem bereits seit 1986 gentechnisch produzierenden amerikanischen Mitbewerber Eli Lilly offenbar besonders wichtig. Mit Erfolg, liegt doch der Marktanteil des aus dem Schweineinsulin gewonnenen Humaninsulins sechs Jahre nach seiner Einführung bei über siebzig Prozent. „Eine derartige Änderung der Verschreibungsgewohnheiten in sechs Jahren ist nur durch extremen Druck der Insulinhersteller erklärbar“, heißt es dazu von zwei Ärzten in einem Beitrag im 'Deutschen Ärzteblatt‘.

Ein großer Teil der heute Humaninsulin spritzenden Diabetiker wurde mit unsauberen Methoden zum gefährlichen Präparatewechsel gebracht. Beispielsweise ließ Hoechst Anfang des Jahres gezielt über seine Pharmavertreter und durch mehrdeutige Hinweisblätter in Apotheken das Gerücht verbreiten, die Produktion von tierischen Insulinen werde demnächst eingestellt. Viele Ärzte und Patienten sahen sich zur Umstellung gezwungen. Mit einer Anzeige unter der Überschrift Nordisk stellt klar versuchte der Münchener Schweine- und Rinderinsulinhersteller gegen die umsatzschädigende Gerüchteküche anzukämpfen. Vergeblich: Noch immer herrscht Unsicherheit unter Insulinverbrauchern.

Daran ändert auch die heutige Aussage der Hoechst -Pressesprechering Helga Hennemann nichts, der Konzern würde weiterhin tierische Insuline herstellen. Und scheinheilig fügt sie hinzu: „Hoechst hat die Gerüchte vom Ende der Herstellung tierischer Insuline nicht in die Welt gesetzt.“

Marketing-Strategien

Mittlerweile hat die Marketing-Abteilung der Firma neue Methoden entwickelt, ihr Humaninsulin in den Markt zu bringen. Vom Bundesgesundheitsamt vorgeschriebene „Erkenntnissammlungen“ werden dazu mißbraucht, Ärzten eine Prämie für die Humaninsulin-Behandlung seiner Patienten zuzuschustern. Für das Ausfüllen eines Fragebogens bekommt der Arzt von der Firma 50 Mark „Kopfgeld“ überwiesen. Auch sonst ist die Gesellschaft bei der Kundenwerbung nicht knausering. Zum Beispiel verteilt sie kostenlose Injektionshilfen, auf die sich, welch Zufall, nur Humaninsulin aufstecken läßt.

In einigen Krankenhäusern wird von einer besonders effektiven Methode gemunkelt, wie Hoechst die Patienten an ihr Genprodukt binden will: Unter der Hand sollen unter Kostendruck stehende Kliniken das Humaninsulin umsonst oder stark verbilligt erhalten, damit sie neue Patienten darauf eingewöhnen. Der später weiterbehandelnde Hausarzt wird kaum das Präparat ändern - die Krankenkasse zahlt. Und das nicht zu knapp.

Früher mußten die Kassen für eine Einheit tierischen Insulins rund achtzig und für Humaninsulin rund hundert Mark auf den Tisch legen. Ab Mitte August hat Hoechst neue Preise: Obwohl Rinder- und Schweineinsuline billiger herzustellen sind, gilt nun der Einheitspreis von 104,45 Mark für beide Produktarten. Augenscheinlich sollte den Genkritikern das Argument genommen werden, tierisches Insulin wäre billiger.

Noch größere Profite als mit ihren bisher semisynthetisch hergestellten Humaninsulinen rechnet sich die HoechstAG nach Inbetriebnahme ihrer voll-gentechnischen Insulinanlage in Frankfurt aus. Doch muß die Gesellschaft dazu erst einmal den Widerstand des „Aktionsbündnisses gegen Gentechnik Hoechst“ überwinden. Das nämlich hat jetzt Klage gegen die Pläne des Konzerns eingereicht. Motto: „Gentechnik birgt unkalkulierbares Risiko - Geninsulin ist überflüssig.“