piwik no script img

Pilzhändler tappt in Becquerelfalle

■ Hannoveraner Kaufmann zu 1.000 Mark Geldstrafe verurteilt / Verkaufte Maronen wiesen zu hohe Becquerelwerte auf

Berlin (taz) - Als der Bußgeldbescheid der Stadt Hannover über 250 Mark kam, war der türkische Gemüsehändler S. völlig überrascht. Er hatte im November 1986 Maronen verkauft, bei denen per Stichprobe 1.100 Becquerel Gesamtcäsium entdeckt worden waren. Der Gemüsehändler war sich keiner Schuld bewußt, schließlich hatte er die strahlenden Pilze doch guten Glaubens im Großmarkt gekauft und legte Widerspruch ein. Diesem Widerspruch verdanken wir nun ein durchaus sensationelles Urteil. Das Amtsgericht Hannover verurteilte den Mann gestern sogar zu 1.000 Mark Geldbuße und blieb damit noch deutlich über dem Antrag des Staatsanwaltes. Das Gericht warf ihm vor, sorglos und fahrlässig eingekauft zu haben, ohne nach Herkunft der Pilze und möglicher Strahlung zu fragen. Das aber hätte er ein halbes Jahr nach Tschernobyl tun müssen, weil die VerbraucherInnen erwarten könnten, daß auch heimische Lebensmittel nicht höher belastet sind als die EG-Normen für Importe (600 Becquerel) erlauben. Mit dieser Begründung gab Amtsrichter Krüger seinem Urteil bundesweite Bedeutung, denn bislang hatte sich noch niemand an eine rechtliche Bewertung für heimische Produkte gewagt, für die es keine verbindlichen Höchstgrenzen gibt. Weil es eben juristisch „keine rechtsverbindliche Vorschrift“ gebe, hat der Anwalt des Händlers, Beschwerde gegen das Urteil eingelegt. Einem Einzelhändler sei nicht zuzumuten, sich bei jedem Einkauf rückzuversichern und es sei zu bezweifeln, daß die exakte Becquerelzahl einen Einfluß darauf hat, mit welchem „Ekel und Widerwillen Lebensmittel gegessen werden“. Helfen könnte ihm in der nächsten Instanz die neue EG-Richtlinie vom Dezember 1987, die für kommende Atomkatastrophen den entsprechenden Grenzwert auf 1.250 Becquerel mehr als verdoppelt hat. Was einmal Unrecht war, kann also durchaus Recht werden.

Bernd Müllender

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen