Ein Zentrum für die Scene

Die Saarbrücker Scene bekommt in der „Nauwieser 19“ ihren „Mehringhof“ / Die Umbauarbeiten für einen alternativen Gewerbehof und Kommunikationszentrum haben begonnen / Privatdarlehen werden noch benötigt  ■  Von Judith Burkart

Das Saarbrücker „Chinesenviertel“ - früher nach einem eingewanderten chinesischen Paar benannt - ist geprägt von einer hohen Ausländerrate und identisch mit der Saarbrücker „Szene“. Seit den zwanziger Jahren ist das Viertel heruntergekommen und hat die typische Entwicklung eines Arbeiter- und Kleinbürgerstadtteiles durchgemacht. Angezogen durch die niedrigen Mieten und die Zentrumsnähe leben heute dort vorwiegend Rentner, Sozialhilfeempfänger, Studenten und Wohngemeinschaften, haben sich Kneipen, Kleinhändler und kleine Betriebe angesiedelt. Gerade in den letzten zehn Jahren entstand aus dieser Vermischung von Wohnviertel mit Arbeitsstätten eine besondere Lebendigkeit mit einer vielfältigen kulturellen und sozialen Struktur. Seit eineinhalb Jahren ist eine Initiative dabei, in der Nauwieser-Straße 19 nach dem Vorbild des Berliner „Mehringhofes“ und des Karlsruher „Gewerbehofes“ einen Kultur- und Werkhof für selbstverwaltete Projekte zu schaffen. Die Ideee entstand, als das saarländische „Netzwerk Selbsthilfe“ im Februar 1987 in das der Stadt Saarbrücken gehörende dreistöckige Vorderhaus mit einem leerstehenden Hofgebäude von insgesamt 1.500 Quadratmetern einzog. Seither wurde der Ankauf des Komplexes betrieben, um seine Autonomie zu gewährleisten. Im März 1988 gründeten interessierte saarländische Gruppen einen Trägerverein, „Nauwieser 19“, mit dem Ziel, „geeignete, soziale und organisatorische Lebensformen, die selbstbestimmtes Arbeiten und Handeln ermöglichen, zu entwickeln“.

Nicht Profitmacherei soll im Vordergrund stehen, sondern die „Überwindung der zunehmenden Zerteilung der Arbeits- und Produktionsvorgänge“. Das Projekt „Werkhof“ fand ein enormes Echo in der saarländischen Alternativ-Szene. Bis jetzt kamen mehr Anfragen, als Platz angeboten werden kann. Zehn Gruppen haben eine feste Zusage: der Fahrradladen, die Aids-Hilfe Saar, eine Schreinerei, die Initiative Landesradio Saar, eine Bürogemeinschaft von autonomen Filmschaffenden, der deutsch-ausländische Jugendclub, ein Wissenschaftsladen (Programm & Werkstoff GmbH, Werkstoffprüfung und Softwareentwicklung) und eine Malschule. Geplant sind noch ein Freiluftcafe, ein variabler Kinoraum und eine Kantine als Forum für alle MitgliederInnen. Jede Gruppe erhielt mit einer einmaligen Einlage von 2.500 Mark einen gleichen Anteil am Betrieb und den Produktionsmitteln des Werkhofes. Entscheidungen über Lohnhöhe, Arbeitsteilung und Investitionen in den einzelnen Projekten sollen vom Gesamtplenum gemeinsam gefällt und getragen werden. Seit Anfang September haben die Umbau- und Sanierungsarbeiten begonnen; in einem Jahr soll der Komplex fertig sein.

Der Verein hat das Grundstück für 30 bis 50 Jahre von der Stadt Saarbrücken gepachtet und kauft die bestehenden Gebäude. Die Sanierung, Umbauten und Renovierung planen die einzelnen Projekte nach ihren spezifischen Bedürfnissen zusammen mit einem Architektenteam. Die Gesamtkosten für Kauf und Sanierung betragen 1.887.000 Mark, dem ein Eigenkapital von zur Zeit 50.000 Mark entgegensteht. Ein möglichst großer Teil der Restsumme soll durch Privatdarlehen aufgebracht werden, die mindestens 1.000 Mark betragen sollen. Bis jetzt liegen Zusagen von über 180.000 Mark vor. Dazu sind beim Sozialamt ein Zuschuß über 140.000 Mark und bei einer Bank ein zinsloses Darlehen von 110.000 Mark beantragt. Die laufende Finanzierung soll ausschließlich aus den laufenden Mieten bestritten werden, die je nach der Leistungsfähigkeit der einzelnen Projekte unterschiedlich hoch sind.

Für Rolf Lauermann, Vorstand von „Netzwerk Selbsthilfe“, ist es ein wichtiges Anliegen zu zeigen, daß selbstverwaltete Projekte im Saarland in der Lage sind, einen solchen Werkhof zu realisieren. Die „Nauwieser 19“ will ein Mittelpunkt des politischen, kulturellen und sozialen Geschehens werden“. Darüber hinaus soll das Projekt eine selbstorganisierte Infrastruktur schaffen und falsche Vorstellungen über Unzuverlässigkeit, Ärmlichkeit und Selbstausbeutung der Alternativen widerlegen.