: Jahrmarkt der konkreten Utopien
■ Interview mit Ivan Illich anläßlich der „Fiera delle Utopie concrete“ europäischer Grüner in Nordumbrien
Citta di Castello: Kein Jahrmarkt der Eitelkeit, eher einer der Ideen. Zur „Fiera delle Utopie Concrete“ trafen sich in der letzten Woche zehn Tage lang Ökologen und Experten aus ganz Europa. „Wasser, Kloake, Ressource, Wunder“ hieß das Thema. Dazu gehörte eine kleine Ausstellung alternativer Technologien. Hier führte Giovanni Cefi, Ingenieur aus Citta di Castello, seine revolutionäre Solarpumpe vor, die auf dem Prinzip der Oszillation des Wassers basiert. Und das „Umweltmobil“ aus Niedersachsen demonstrierte sein Humus-Klo und sein Wasser-Recycling. Die großen Themenkomplexe des Kongresses: Heilkräfte des Wassers, Renaturierung von Flüssen und Bächen und Reinigung verschmutzten und verseuchten Wassers.
Heimlicher Star der Wassermesse war Ivan Illich. Gleich am zweiten Abend führte der ökologische Vordenker und „Wanderphilosoph“ 500 Adepten durch einen mäandrierenden Diskurs über „H2O und die Wasser des Vergessens“. So lautet der Titel seines Buches über die Geschichte des Wassers als Kulturelement. Das Buch legte er zur „Fiera“ in italienischer Übersetzung vor. Man könnte es als Bibel zur Messe lesen. Für Illich ist Wasser zum banalen „Zeug“, zur Sache verkommen, die als vergewaltigte Ressource in unseren Rohrleitungen zirkuliert. Der „Wassersoziologe“ Thomas Kluge aus Frankfurt schlug einen Bogen von Oceanos, dem mythischen Weltenschöpfer bei Homer, bis zum denaturierten, desinfizierten H2O unserer Wasserwerke.
Die Utopien-Messe von Citta di Castello soll in einem Vierjahreszyklus den vier Elementen - Wasser, Erde, Luft, Feuer - gewidmet sein. Diesmal nahmen neben der bundesdeutschen und italienischen Sektion der ungarische Grüne Janos Vargha teil, der zum Kampf gegen das Donaukraftwerk Nagymaros aufrief, dann Hans Simon von der „ökologischen Bibliothek Ost-Berlin“, vier Grüne aus der UdSSR von der Gruppe „Ökologie und Frieden“, der Österreicher Günther Nenning und - als Ideator der Messe Alexander Langer aus Süd-Tirol.
Was fehlte war die lokale Anbindung, obwohl Citta di Castellone die „Fiera“ zusammen mit der Region Umbrien finanziert hatte. Daher der Appell an den KP-Bürgermeister Giuseppe Pannacci: Die kleine Stadt könnte zum echten Experimentierfeld werden, Brunnen wieder geöffnet, einzementierte Bäche befreit und mit der Trennung von Trink und Brauchwasser angefangen werden. Bei der nächsten „Fiera“ wird man sehen, ob Pannacci diese Ratschläge beherzigt hat. Dann allerdings wird von Wassern nicht mehr die Rede sein dann ist Mutter Erde an der Reihe.
„Die einfachsten Dinge, die ich sage, erscheinen den Leuten als zu schwierig. Deshalb gebe ich seit 20 Jahren keine Interviews mehr“, sprach Ivan Illich und gewährte doch eines. Aber nur zum Thema Wasser und nur, weil er die Utopien-Messe „einfach erquickend“ fand.
Illich: Ich bin irgendwo gerührt. Was da alles heute zur Selbstverständlichkeit geworden ist, in bezug auf Wasser, meine ich. Das ist schon sehr überraschend für jemanden, der schon vor 25 Jahren über Wasser gesprochen hat und sich erinnert, wie blind und taub damals alle waren. Die bewegtesten Menschen von '68 verfolgten damals politische Ziele wie „Vollanstellung für jedermann“, „Gleichheit im Einsatz der Produktivkraft“ und „produktive Arbeit“. Alles alte, fahl gewordene Parolen.
taz: Ist diese Messe für Sie also eine realisierte Utopie?
Ich glaube nicht, daß die Leute hier Utopie in der Einzahl lassen. Das sind schon Utopien. Und sehr konkret sind sie auch. Und sie entwischen der Gefahr, als eine konkrete Utopie zu erscheinen, als die Alternative. Ich glaube an ganz konkrete Menschen, die Hoffnungen sind. Die Hoffnung, die Utopie - nein danke.
Was heißt das in bezug auf den Umgang mit Wasser?
Wasser ist immer etwas, was Menschen zusammenbringt, was keinem allein je gehören kann. Es ist aber auch immer etwas streng begrenztes, wenn es konkret und lebendig ist. Über Wasser wird heute in den großen Agenturen und wissenschaftlichen Instituten in einer vollständig abstrakten Weise als etwas Universales gesprochen. Ich will nicht sagen, daß es das nicht auch ist. Aber man kann hier auf diesem Jahrmarkt sehen, daß Wasser etwas Konkretes ist, daß es Sinnlichkeit und lebendiges Erleben für Menschen verkörpern kann.
Demnach ist Wasser heute in Gefahr, zu einer toten, dem Leben entgegengesetzten Substanz zu werden?
Im Begriff, ja. Ich habe Angst davor. So wie eben Müll als Unwert, so ist Wasser als Wert etwas völlig Neues. Wasser ist jetzt zu einem ganz giftigen Begriff geworden. Begrifflich giftig nicht nur deshalb, weil Restsubstanzen nicht mehr herauszufiltern sind, weil es sich nicht mehr reinigen läßt, sondern auch deshalb, weil es zu einer völlig abstrakten Substanz verkommen ist. Die Sprachtradition in Italien bewahrt noch eine Differenzierung des Begriffs Wasser. Hier spricht man von „le acque“, den Wassern. „Le acque del Tevere, le acque di Roma“. Als junger Mann, als Student in Rom, konnte ich dort noch wählen, wo ich gewohnt habe, ob ich die „Acqua Paola“ oder die „Acqua Marcia“ lieber trinke (aus den verschiedenen Aquädukten Roms - d. Red.). Ich persönlich habe die „Acqua Marcia“ lieber gehabt, mir dort mit meinem Wasserkrug mein Wasser geholt. Die Leute hier auf dieser „Fiera“ versuchen, „le acque loro“, ihre Wasser zu retten, sie vor dem Wasser in der Einzahl, das zerstört, zu schützen.
Interview: Michael Kadereit
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