Mit Firn, Charme ohn‘ Melone

■ Loriot, der Connaisseur aller denkbaren Peinlichkeiten und Zwangscharaktere, wird 65 und war in Bremen, um seine Geburtstagssendung der Presse vorzustellen

Da sitzt er also - der Mann, der, wie kein anderer deutscher Komiker, aus dem deutschen Kleinbürger in seiner ganzen Furztrockenheit den tragikomischen Zwangscharakter herausmodellieren kann; der Mann, der in zahllosen Sketchen die Tücke der Normalität, die Peinlichkeiten von Alltagssituationen so nachhaltig bis zur Kenntlichkeit verzerrt hat, daß man inzwischen - wenn einem selbst Peinlichkeiten widerfahren - denkt: Das ist ja wie bei Loriot.

Also da sitzt er, dieser Mensch, dessen stoischem Ernst nicht nur ich allein Lachtränen krügleinweise zu verdanken habe; da sitzt er - und hat mich sofort hingerissen mit seiner Miene, die so reizend unverräterisch den ständigen Beobachter dahinter kaschiert; mit seinen Formulierungen, die so präzise, sparsam und

treffsicher sind; mit der Freundlichkeit in seinen Augen, die blitzschnell in feinen Spott umschlagen kann. Dies lebende Pandämonium aus Herrn Blümel, dem Weinvertreter, dem nasebohrenden Anzug-Käufer, dem Probelieger in der Bettenabteilung, dem zwanghaft ordentlichen Zimmerverwüster, dem Sekretärinnen-Verführer mit der Nudel im Gesicht oder dem, den es mitsamt der Sekretärin auf die „Auslegeware“ drängt, dem mutterfixierten Ödipussi auf hatschenden Freiersfüßen - dieser Mann also sitzt da und ist die ironisch-selbstironische Liebenswürdigkeit in Person.

Geduldig beantwortet er die dämlichsten Fragen: „Wie fällt einem eigentlich so was ein?“ „Was wünschen Sie sich zum 65. Geburtstag?“ „Werden Sie eine Loriot-Schule gründen, wenn Sie

sich mal zur Ruhe setzen? Wissen Sie schon einen Nachfolger?“ Loriot lächelt freundlich: Wie einem „so was“ einfällt, läßt sich nicht erklären; zum Geburtstag wünscht er sich Gesundheit; und von einer Loriot-Schule oder von einem Nachfolger kann gar keine Rede sein. „Wissen Sie, so wichtig nehme ich mich nicht.“

In jungen Jahren war er - man kann es sich wirklich schwer vorstellen - „ein bemühter Leichtathlet und gesuchter Fünfkampf-Sportler“. Heute langweilt ihn sportliche Betätigung: „Ich gucke eigentlich nur aus dem Fenster. Aber ich schwimme auch in Gesellschaft.“ Da meint man fast, Herrn Direktor Müller-Lüdenscheid zu hören.

„Können Sie sich eigentlich ein Leben ohne Biedermeiersofa vorstellen?“, fragt jemand. Loriot lächelt und formuliert mit hintergründiger Präzision: „Ich könnte mir ohne Biedermeiersofa ein Leben vorstellen.“ „Man sagt ja immer: 'je oller, je doller‘. Ist das bei Ihnen auch so?“ „Ich hoffe“, sagt Loriot. „Werden Sie diesmal wieder einen Teil ihres Honorars zu Grasshoff tragen?“, bohrt ein anderer. „Schon passiert“, beruhigt Loriot. Welchen Komiker sieht er selbst am liebsten? - „W.C. Fields. Der ist immer böse, immer unmoralisch - wunderbar. Chaplin hat immer die Moral auf seiner Seite. Fields hat sie gegen sich.“

Nein, ihm sind all die Dinge, aus denen er Sketche macht, nicht widerfahren. Komisches widerfährt ihm trotzdem, und wie er davon erzählt, zeigt, aus welchem realen Fundus er seine Ideen schöpft: Auf die Frage, wie er eigentlich auf der Straße angesprochen wird, sagt er: „Oft als Herr Lattek. Und wenn ich dann sage: 'Ich bin aber nicht Herr Lattek‘, heißt es: 'Doch, ich kenn‘ Sie ja

vom Fernsehen‘.“

Nun wird er also 65, und seine Geburtstagssendung wurde der Presse vorgeführt. Da gab es anfangs Mißverständnisse: Erst Fragen stellen und dann den Film oder umgekehrt? Erst Fragen stellen, wurde entschieden, aber gleichzeitig begann auf den Monitoren die Geburtstagssendung schon zu laufen. Da wurde Loriot etwas ärgerlich: „Bitte wieder ganz zurückfahren, sonst fängt es nachher mittendrin an.“ Von Anfang an kann man die Sendung am 12. November sehen. Und wenn ich 44. Geburtstag habe, wünsche ich mir einen „Altersfirne„-Abend mit Loriot. Aber mich fragt ja keiner.

Sybille Simon-Zülch