piwik no script img

Bedrückende Visionen und Schlagworte

■ Jutta Ditfurth referierte in Bremen über Gentechnik und mögliche Folgen / Warnung vor dem „gentechnischen Rassismus“ / Zuhörer: „Depressive gehen nach Hause und nehmen eine Pistole“ /

Bisweilen treibt die Grünen die Sorge um, daß hinter all den Kämpfen um Macht und Moral in der Partei das inhaltliche Profil verloren geht. Mehr inhaltlich diskutieren, programmatisch arbeiten, themenbezogene Veranstaltungen organisieren, heißen dann die wohlfeilen Mittel, gegen Selbstzerfleischung und Nabelschau. Zu einer solchen themenbezogenen Veranstaltung hatten der Kreisverband Bremen -Ost eine der HauptakteurInnnen beim Kampf um Macht und Strategie eingeladen, die Sprecherin des Bundesvorstandes, Jutta Ditfurth.

Und, Finanzskandal bei den Grünen hin oder her, Ditfurth tat an Donnerstagabend im Bürgerhaus Vahr, was sie tun sollte, und sprach fast ausschließlich zum Thema. „Ökologie braucht Widerstand“, hatte sie ihr Anliegen betitelt und Ökologie, das hieß in diesem Fall: Die Gentechnik und ihre möglichen Folgen. „Wer depressiv ist, geht nach Hause und nimmt die Pistole“, beschrieb der Altgrüne Peter Willers nach dem Vortrag seine Eindrücke. Und andere, etwa ein Drittel der rund 250 ZuhörerInnen, verließen gleich nach Ende des Vortrages und vor Beginn der Diskussion sichtbar ratlos und betroffen den

Saal.

Die Ditfurthschen Zukunftsvisionen einer Gesellschaft, in der wenige Konzerne mit Genmanipulationen das „größte Geschäft

aller Zeiten“ und die Politik machen, hatte es auch in sich gehabt. In dieser Gesellschaft werden aus dem „Pool der Arbeitslosen die ausgesucht, die möglichst giftre

sistent sind“, um so durch Forschung und Genmanipulation den Typus zu entwickeln, der sich am besten für den Einsatz in Chemiefabriken oder Kraftwerken eignet. In dieser Gesellschaft werden Eltern mit dem Wunsch nach den Kindern, die den gesellschaftlichen Normen entsprechen, mit schlauen, schönen, gut gelaunten, blonden und blauäugigen Babies bedient.

In dieser Gesellschaft ist für Behinderte kein Platz mehr: „Würde man in einer solchen Gesellschaft Contergan-Kinder leben lassen?“, ihre rhetorische Frage, die sie an anderer Stelle selbst beantwortet: „Nein nicht der Faschismus kommt wieder, sondern gentechnischer Rassismus, subtiler und verbrämter als gestern.“ In dieser Gesellschaft werden Kriminelle auf ihr Erbmaterial getestet. Auf das so entwickelte Muster werden dann Kinder untersucht. Und wenn der Befund dem eines „typischen Kriminellen“ entspricht, was dann? Ditfurth, die keine „Apokalyptikerin“ sein will: „Die Antwort will ich offenlassen.“

Was tun, wenn diese Visionen ihre Berechtigung haben? „Widerstand“ heißt das Schlagwort im Veranstaltungstitel. Und viel mehr als dieses plakative Schlag

wort umfaßt die Ditfurthsche Strategie nicht. „Man muß den Gendiktaturen das Leben durch Widerstand aus der Hand nehmen“ und „Sich wehren ist das Ziel“, heißt ihr Credo. Als ein Jugendlicher sie fragt, ob es denn reiche, ausschließlich zu polarisieren, und ob man nicht ein Spektrum über die Grünen hinaus ansprechen müsse, antwortet sie lediglich allgemein: „Ich kann Aufklärung von Witz, Radikalität und Gefühlen nicht trennen.“ Einem anderen, der möchte wissen, was man denn konkret machen könne, antwortet sie: „Wenn ich ein Rezept hätte, würde ich das 1.000 mal vervielfältigen.“

Ganz zum Schluß, als wiederum ein Jugendlicher für sich feststellt: „Die Partei ist o.k., aber der chaotische Vorstand nicht“, nimmt Ditfurth doch noch zu den Finanzmanipulationen beim Umbau des Parteischlosses Wittgenstein Stellung. Ohne jedes Wort der Selbstkritik erklärt sie den Streit um die Manipulationen zum strategischen Element beim Kampf um die grüne Macht. Übeltäter: Die Gruppe Aufbruch 88: „Die stellen sich als Heilige hin, um sich dann als Allheilmittel anzupreisen.“

hbk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen