: Hauskrankenpflege auf billige Art
■ Fragebogenaktion in der St.-Jürgen-Straße / Pflege-SchülerInnen fühlen sich als LeiharbeiterInnen bei den Freien Wohlfahrtsverbänden / Pflegedirektor Küker wußte angeblich von nichts
„Leiharbeit statt sachgemäßer Ausbildung.“ So läßt sich die Kritik zusammenfassen, die der Ausbildungspersonalrat des Krankenhauses St.-Jürgen-Straße an die Direktion gerichtet hat. Dabei geht es ihm nicht um die gesamte Ausbildung, sondern nur um einen Teil: den Einsatz der Krankenpflege -SchülerInnen in der Hauskrankenpflege.
Einen Monat ihrer dreijährigen Ausbildung müssen die SchülerInnen auch außerhalb der Klinik Patienten pflegen, nämlich in deren Wohnungen. Das ist seit 1985 gesetzlich vorgeschrieben. Für vier Wochen gehen die SchülerInnen dann nicht in die St.-Jürgen-Straße zur Ausbildung, sondern in die Büros des Roten Kreuzes, des Arbeiter-Samariter-Bundes und anderer Freier Wohlfahrtsverbände. Auch die Kirchengemeinden betreuen pflegebedürftige Patienten in ihren Wohnungen, deren Gesundheitszustand einen Aufenthalt in der Klinik nicht erforderlich macht. Wenn sie an diese Organisationen ausgeliehen sind, kommen viele der rund 200 SchwesternschülerInnen sich wie billige Arbeitskräfte vor.
Denn: In vielen Fällen werden sie nicht von ausgebildeten Krankenschwestern oder - pflegern
eingewiesen und überwacht. Allenfalls HauskrankenpflegerInnen, die selbst nur in einem dreimonatigen Schnellkurs auf ihren Beruf vorbereitet worden sind, zeigen ihnen das Wichtigste. Oft werden sie alleine zu den PatientInnen geschickt, müssen also eigenverantwortlich entscheiden, ob sie bei kritischen Zuständen einen Arzt anrufen. Allein müssen sie auch Spritzen unter die Haut und in den Muskel verabreichen, selbst wenn sie den dafür erforderlichen „Spritzenschein“ im Zuge ihrer Ausbildung noch nicht erworben haben. Mitunter ist ihre Arbeit aber auch weniger verantwortungsvoll: Dann müssen sie in den Büros der Freien Wohlfahrtsverbände putzen oder stundenlang tippen.
Diese und viele andere Mängel hat der Ausbildungs -Personalrat mit einer Fragebogen-Aktion unter den SchülerInnen festgestellt. Als die Direktion des Krankenhauses davon Wind bekam, lud sie die jungen Personalräte zum Gespräch, das schon im September dieses Jahres stattfand. Mit ihrer Fragebogenaktion hätten die Personalräte das Ansehen der Klinik herabgesetzt, warf ihnen die Direktion vor. Dann wurde ihnen kühl erläutert, daß der Direktion die Probleme keineswegs neu
seien. Die Direktoren und die Leitung der Krankenpflegeschule hätten von Anfang an gewußt, daß bei den Freien Wohlfahrtsverbänden nicht genügend ausgebildetes Personal zur Verfügung steht, um die SchülerInnen auszubilden. Personalratsmitglied Jürgen Schumacher: „Die Direktion hat gewußt, daß gegen das Gesetz verstoßen wird. Im Krankenpflegegesetz steht nämlich drin, daß Auszubildende nur unter der Aufsicht examinierter Kräfte arbeiten dürfen. Das gilt für die Kliniken ebenso wie für die Hauskrankenpflege“.
Pflegedirektor Hermann Küker, der bei dem Gespräch mit dem Ausbildungspersonalrat anwesend war, wußte von den Problemen gestern fast gar nichts. Konkrete Beschwerden von Schülerinnen seien ihm nicht bekannt geworden, seitdem die Ausbildung sich auch auf die Krankenpflege zu Hause erstrecke. Der Personalrat habe nur allgemein Stellung genommen und nicht einmal die Namen von Beschwerdeführerinnen genannt. Im übrigen könne er „keinen Einfluß nehmen“ auf die Bedingungen, unter denen die Freien Wohlfahrtsverbände die SchülerInnen ausbilden. „Die sind da nur Gäste. Deshalb darf der Personalrat
den Bogen nicht überspannen“.
Aber einen Trost hatte Küker für die SchülerInnen doch parat: Jedes Jahr kurz vor Weihnachten trifft sich die Pflegedirektion mit
den Freien Wohlfahrtsverbän den. In diesem Jahr darf der Ausbildungspersonalrat mit.
mw
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