: Hör-Funken: Einbildungskraft.("Borges gibt es nicht")/Noch mehr Einbildungskraft.("Pointer und die Herren im Dunkeln")
Einbildungskraft. („Borges gibt es nicht“, 1130-1200, SFB 3) Borges ist die Erfindung eines Dichters, der vielleicht Borges heißt, vielleicht auch anders. Das ist jedenfalls die Kurzfassung von Gerhard Köpfs Verwirrspiel aus Werkzitaten, Biographie und überliefertem Mythos von Jorge Luis Borges. Und zustande kommt diese Einsicht so: Der Erzähler will gerade in ein römisches Kino gehen - alle, die nicht an die Existenz einer Gestalt glauben, gehen gerade in ein Kino oder kommen aus ihm -, als ihn die Nachricht vom Tod des Dichters ereilt. Im Kino-Cafe bringt ihm auf einleuchtende Weise ein argentinischer Künstler nahe, daß Borges das Phantasieprodukt eines Dichters sei, der sich die Sehnsucht erfüllen konnte, eine der eigenen Figuren leibhaftig werden zu lassen. Da es Borges nicht gibt, kann er auch nicht gestorben sein. Das ist ein Trost. Da es aber einen Dichter gibt, der sich Borges einbilden konnte, wie es ihn gegeben zu haben schien, ist das genausogut, als hätte es Borges wirklich gegeben. Und damit wäre der Trost schon wieder vorbei. Selbst wenn es Dichter nicht gibt, so gibt es immer noch Dichter, die sich welche einbilden. Und meistens sind sie selbst es, die sie sich einbilden. Was nun wieder ganz tröstlich ist, wegen der Klarheit.
Noch mehr Einbildungskraft. („Pointer und die Herren im Dunkeln“, 2000-2105, WDR 1) „Ein Actionkrimi mit der Nase im Dreck - im Milieu von sozialer Revolte und autonomer Subkultur, zwischen Rollkommando und Randale. Und bei gutem Wetter ist natürlich Krawall angesagt.“ Wovon hier gesprochen wird, ist unsere Kulturstadt namens Berlin. Sie stellt die Kulissen für alle möglichen wilden Kolportagen und sollte besser den Titel Kulissenhauptstadt bekommen. Hier siedelte ein Nachwuchs-Chandler folgendes Histörchen an: Luzie ist fast erdrosselt worden. Neben ihr liegt ein Bekennerschreiben: „Frag nicht warum. Die Mörder des Sinns.“ Luzie geht nach Kreuzberg, wo der heldenhafte Pointer in seinem Wohnbüro mit Pißbecken und Kaltwasserboiler residiert. Da Luzie eine „atemberaubende Blondine“ ist, beginnt Pointer bei ihrem Eintreten die Hand zu zittern, die gerade einen Whiskey nachgießt. Selbstverständlich beginnt ihm auch das Herz zu flimmern, und so begibt er sich für Luzie in fast jede Bredouille, sogar unter die Fäuste von zwei jungen Männern, die ihn fast fertigmachen. Überhaupt sei das „Unterholz“ der Kulturhauptstadt sehr „dämmrig“ und das „Gestrüpp politischer Machenschaften und Intrigen“ sehr „undurchdringlich“. Im übrigen soll alles das der Auftakt der „neuen Action-Krimiserie aus dem Anti-Berlin der 80er Jahre“ sein, „die der Autor seinem Regisseur schmackhaft machen will.“ Zwischen Rollkommandos und Randale behauptet sich die Resteverwertung der Phantasie und produziert Heißluft in Kaltwasserboilern. Berlin bleibt doch Berlin.
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