Der Titel geriet zum Programm

■ 3. Abend des JazzFest 1988 im Dix: Die John Scofield-Band und Airto/Flora Purim mit ihrer Gruppe spielten vor ganz anderem, aber quatschendem Publikum vor allem „Loud Jazz“

Diesmal saß ein ganz anderes Publikum im Dix als am Abend vorher, und viele, die dort in nostalgischer Gemütlichkeit zum klassischen Be-bop ihr Bier tranken, hätten sich hier auch schon nach den ersten Tönen ordentlich verschluckt. Auch einige der Zuhörer hatten am Anfang Probleme mit der Lautstärke, aber wenn John Scofield schon eine seiner gespielten Kompositionen „Loud Jazz“ nannte, war vorauszusehen, daß der Titel für einen großen Teil seines Auftritts zum Programm würde.

Der Gitarrist spielt jetzt rockiger, geschlossener und mehr aufs Publikum orientiert als bei seinen früheren, introvertierten Konzerten in Bremen. Und auch die Zusammensetzung seiner Band spiegelt diese Entwicklung wider. Während früher Nussbaum und Swallow den intellektuellen Ansatz in Scofields Spielweise noch weiterverstärkten, hat er jetzt mit Gary Grainger am Bass und Dennis Chambers am Schlagzeug einen Gegenpol, der ihn von allzu zerebralen Exkursionen abhielt. Beide spielten sehr schwarz und aus dem Bauch heraus, Grainger

oft mit dem Daumen in der Manier der Funkbassisten, Chambers ließ auf seinen Drums die Wirbel mit grandioser Energie heranrollen. Nur Pianist Jim Beard spielte ein wenig flach: den Synthesizer hatte er auf einige ganz und gar häßliche Sounds eingestellt, und bei den schnellen Wechseln zwischen den Stilen blieb er manchmal auf der Strecke, so in der schönen Ballade „Thanks Again“, zu der ihm offensichtlich kaum etwas einfiel, während Scofields warmes, fein gesponnenes und gar nicht lautes Solo für mich der Höhepunkt des Auftritts war.

Bei der Airto Moreira/Flora Purim Band war merkwürdigerweise wenig von Flora Purim zu hören. Vielleicht hatte die Sängerin Probleme mit der Stimme: nur bei der Hälfte der gespielten Songs sang sie mit, und auch dann hielt sie sich mit ihrer virtousen Technik zurück, bei der sie die Stimme wie ein Instrument einsetzt, und durch die Verwendung von zwei Mikrophonen mit verschiedenen Effekten faszinierende Tonverfremdungen produzieren kann. Ihr Abgang lange vor

dem Ende des Auftritts war sehr unvermittelt und bei der Zugabe kam sie nicht mehr auf die Bühne.

Dennoch war es ein gelungener Auftritt, denn die Gruppe spielte auch ohne die Sängerin eine lockere und gefällige Mischung aus brasilianischen Sambarhythmen Jazz und Pop. Besonders der junge Gary Meek auf verschiedenen Saxophonen und der Flöte entwickelte sich zum Publikumsliebling mit seinem swingenden, poppigen, aber nie ins Seichte abgleitenden Soli. Von ihm und Pianist Marcos Silva waren auch viele der Kompositionen. Airto saß fast nur hinter dem ganz normalen Schlagzeug, spielte sehr temperamentvoll und verzwickt, ließ aber die Percussionsinstrumente neben sich auf der Bühne liegen. Bei seinem Solo nur mit dem Tambourin und der Stimme brachte er so vielschichtige und hinreißende Sambarhythmen zustande, als wäre da eine ganze brasilianische Karnevaltruppe auf der Bühne. Da wurde es noch etwas heißer im Dix und auch die Quasselköppe an der Theke begannen mit den Hüften zu wackeln.

Willy Taub