Käse aus Deutschland

■ Klaus Modicks: „Weg war weg“, Heimatschnulzengerede als Romanverschnitt

Als dem Wiefelsteder Schriftsteller Lukas Domcik das Romanmanuskript Nachtexpress nach Babylon gestohlen wird und er den Plan faßt, die Suche nach den verlorenen Seiten literarisch zu verarbeiten, rät ihm sein Verleger ab: „Immer wenn den Schriftstellern nichts mehr einfällt, beginnen sie, von sich selbst und ihren Schreibprozessen zu schreiben.“

Eine Warnung, die der Lektor des Rowohlt-Verlages seinem Autor mit auf den Weg hätte geben sollen. Hat er aber scheinbar nicht. Und deswegen müssen wir nun auf 252 Seiten einem Bericht über das Leben eines Schriftstellers lauschen, der mit Frau und Kindern auf dem platten Lande lebt und seinem Manuskript durch die Weiten der norddeutschen Tiefebene nachjagt. Soweit der Erzählstoff mit der Hauptidee Vom Verschwinden der Schrift (die sich übrigens den Erzählungen Michael Krügers Wieso ich?, Was tun?, Warum Peking? verdankt), die als roter Faden für ein Stück Autobiographie herhalten muß.

Es beginnt bei den Theorien über die Zeugung des eigenen Kindes („die Transformation unseres Sohnes aus dem Stadium eines geilen Gedankens in den der Zellteilung“) und bei Besuchen im Bio-Öko-Laden und Amateuerdichtergruppen und endet bei Männerskatrunden („Jan verschwand auf dem Klo, kam zurück und kratzte sich noch einmal genießerisch grinsend am Sack“) und den Zweideutigkeiten bei einer Sherryprobe (“'Und der Cream‘, gluckste sie, 'genau in der Mitte muß er sein. Dann geht er am besten rein.'“).

Dieses ranzige Heimatschnulzen-Gerede, das sich als Milieustudie des prallsten Realismus versteht („Ich hob scheu und schwer die Lider, um der furchtbaren Realität ins Auge zu sehen“) und die in einem Gemisch aus Szenesprache und Kalauern präsentiert wird, ist nur der Unterbau für die eigentliche Absicht des Autors, endlich alle die Namen los zu werden, die er in seinem Germanistikstudium gehört, von denen er Zitate verzettelt hat.

Die backfischhaften Gedankengänge zum Leben in der Provinz sollen aufgewertet werden mit literarischen Anspielungen, die immer mit der Dummheit des Lesers rechnen und sich für keinen Scherz zu schade sind: „Goethe ist tot, Joyce ist tot, und mir ist auch schon ganz übel.“

Goethe, Joyce und ich: Das ist die Linie der Herablassung, mit der sich Modick den Autoren als Kollege anbiedert, wobei der Witz nur das Versteck ist, in dem sich Neid und Größenwahn verbergen: „Wenn ich dachte, was gute und erstklassige Kollegen von E.T.A. Hoffmann bis Kafka so alles im Schlaf erledigt haben, packte mich blanker Neid.“

Nun könnte man glauben, dieser oberschülerhafte Umgang des Schriftstellers Domcik mit den Größen der europäischen Literatur sei ein raffinierter Trick des Autors Modick, die Einführung der Dienstbotenperspektive oder so, aus der sich Überlegungen zur Theorie dichterischer Inspiration dann so anhören: „Mir kamen manchmal Einfälle auf dem Klo, ein Phänomen, auf das ich mit Sicherheit keine Exklusivrechte besaß; merkwürdig nur, daß die Schriftsteller sich nie zu dieser Inspirationsquelle äußerten. Das war Stoff für einen Essay zur Produktionsästhetik.“

Aber von wegen Dienstbotenperspektive! An eine Trennung von Hauptperson und Autor ist gar nicht gedacht. Im Gegenteil, wir sollen erkennen, daß es sich bei den Einfällen des Herrn Domcik um die Einfälle des Herrn Modick handelt, denn das Buchstabenanagramm „Domcik-Modick“ ist so leicht zu entziffern wie das der Vornamen „Lukas“ und „Klaus“.

Als Gattung ist der Roman, wie Modick selbst sagt, ein Verschnitt, ein Abfallprodukt („Resteverwertung“) aus der Studienzeit und den ersten Gehversuchen als Literaturkritiker („Wollte mir gerade eine besonders gut gelungene Stelle notieren, um sie eines fernen Tages in einem meiner Werke zu verwerten“). Aber das ganze Name -dropping nützt nichts, denn wer Sätze schreibt wie „An der Schreibmaschine hatten sich die Traumreste so gründlich verabschiedet, wie das Papier weiß war“, der kann ruhig auf Barthes und Heisenberg, auf Iser, Proust und Benjamin verweisen oder sie (un-)auffällig im eigenen Werk verwurschten: die literarische Qualität des Buches wird dadurch nicht besser.

Die vermeintlichen Kenntnisse der Literaturszene haben im Falle Modick nichts zu tun mit der eigenen Produktivität, die sich allein darauf beschränkt, den Erfahrungshorizont „Provinz“ direkt und mühelos umzusetzen: So wird aus „Ulla Hahn“ „Ulrich Huhn“, aus der Oldenburger „Cäcilienschule“ die „Emilienschule“ und aus dem „Stroemfeld-Verlag“ der „Strohbold-Verlag“. So einfach ist das mit der Wirklichkeit: „Nun ja. Das Leben war träge. Und in einer sich im chronischen Halbschlaf befindlichen Provinzstadt wie Oldenburg besonders.“

Doch damit nicht genug. Auch die sonst nur in der taz üblichen Säzzerbemerkungen („Was hier gesetzt wird, setze ich. Der Setzer“) werden in den Erzählverlauf eingeflochten, um den Beweis anzutreten, daß es sich bei dem Erzähler um einen Anwalt des Zeitgeistes handelt - mit Allgemeinbildung und Belesenheit. Deshalb darf sich Modick schon mal selbst zitieren: „Vor einigen Wochen las ich in der einschlägig bekannten Wochenzeitung 'Die Zeit‘ einen Artikel des von mir durchaus geschätzten Kollegen Klaus Modick.“

Dabei fehlt dem Autor keineswegs Selbstkritik, denn es heißt von dem verlorengegangenen Romanmanuskript, das in einer Plastiktüte mit der Aufschrift „Käse aus Deutschland“ verstaut wurde: „War Weg war weg in der Tat nichts als ein höchst mittelmäßiger Verschnitt meiner vorhergehenden Arbeiten, angereichert mit allen möglichen und unmöglichen Elementen postmoderner Schaumschlägerei, die ich mir von überall aus der dünnen Luft der Feuilletons gegriffen hatte?“ Wie wahr, wie seiend (Goethe).

Regina Kreichel

Klaus Modick Weg war weg Rowohlt-Verlag 1988, 32 DM