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Wagemut im Hauptstadtkino

■ „Flüstern und schreien“: Ein DDR-Film bricht Tabus

Die Hauptstadt hat ihren neuen Kinoknüller. „Flüstern und Schreien“ lief jetzt im Colosseum an, im Bezirk Prenzlauer Berg, Schönhauser Allee 123. Nein, nicht der alte Bergmann -Streifen, sondern eine DDR-eigene Produktion. Ein „Rockdokumentarfilm“, wie es im Untertitel heißt, der in seiner Offenheit schockiert und selbst die Kirchenkonzerte eines „ausgereisten“ Stefan Krawcyk in den Schatten stellt. „Wir wollen artig sein“, singt da „Feeling B.“'und die Kamera schwenkt auf Punks, die ihre Hand zum „Fuck you„ -Zeichen drehen.

Rockfans werden am Bahnhof Lichtenberg interviewt, was sie zu später Stunde noch treiben. „Wir haben keine Bleibe und bei den Alten halte ich es nicht mehr aus“, erzählt eine 18jährige, während sie den Irokesenschnitt ihres Freundes frisiert.

In einer anderen Szene erzählen zwei ausgebrannte Frauen: „Wir haben keine Arbeit, müssen uns erst welche suchen, aber Bock darauf spüren wir nicht“. Dazu härteste Underground -Musik, Heavy Metall, Punk, wenig New Wave, zwei Stunden lang dröhnt es aus den Lautsprechern, von „Sandow“ aus Cottbus, „Feeling B.“ vom Prenzlauer Berg, „Chicoree“ und „Silly“, nach den auch im Westen berühmten „Puhdys“ Nummer zwei im DDR-Rockgeschäft.

Regisseur Dieter Schumann und Dramaturg Jochen Wisotzki sind unermüdlich mit ihrer Kamera unterwegs. Es wirkt fast schon anklagend, wenn Kameramann Michael Loesche die muffigen Bierfeste aus der DDR-Provinz einfängt, wo kritische Jugendliche vor die Alternative gestellt werden „mitsaufen oder resignieren“.

Zwar hat der Film „typische Ostschwächen“, wie zum Beispiel zu langatmige Interviewteile mit den Rockstars, ausgiebige Selbstdarstellungsmöglichkeiten für die Männer, während Frauen selten zu Wort kommen, dafür aber mit Vorliebe beim Nacktbaden abgelichtet werden. Trotzdem, die DDR zeigt sich für viele zum ersten Mal in einem erfrischend offenen Licht. Kein Problem der Jugend wird beschönigt, kein Tabu wird ausgeklammert, mit Ausnahme vielleicht des Drogenproblems.

„Es bleibt der Eindruck: Rock bei uns heißt, mehr Bewegung in das zu bringen, was sich bewegt, Gemeinsamkeit in Sorge um Frieden, Umwelt, menschlichen Umgang“, schrieb die Ost -Berliner 'BZ am Abend‘ und resümmiert: „Man geht vielleicht in den Film, um sich in eine exotische Szenerie versetzen zu lassen. Man geht hinaus und hält nicht mehr nur sich für normal. Man bedenkt, wieviele Normalitäten es geben kann.“

Roland Hofwiler

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