piwik no script img

Zwischen den Rillen

 ■  Ich bin es! Und ein müder Rest

Wie wär's? Eine neue Tom Waits, Talk Talk oder die neue Randy Newman, die neue von Lizzy Mercier Descloux oder Keith Richards, Nick Cave zu alt, oder Dinosaur Jr sollen sehr gut sein, oder. Eine Stimme - DIE Stimme: „If you want me to remain romaaantic“ gequetscht, aus dem Mundwinkel gepreßt, eine „Geh-mir-aus-dem-Weg„-Drohung, dann ein hämmerndes Klavier, ein krachendes Schlagzeug, eine nörgelnde Mundharmonika und die strahlende Verkündung: „HOLD ME, honey want you HOLD ME“. Die Erlösung - P.J.Proby.

Das aktuelle Alibi - zwei Reissues mit seinen besten Stücken und sein Geburtstag. Am 6.November wird P.J.Proby 50! Alles verschwimmt wie üblich: 1965 der entsetzlichste Song aus der „West Side Story“ - Maria. Geigen, Chöre, Glockenspiel, Schmelz und Gold in der Kehle, es ist kaum zu ertragen und dann setzt P.J.Proby zum zweideutigsten Schluß der Musikgeschichte an. Ein schwebendes „Maria“, ein hohes Flüstern, ein langgezogenes „iiiiiii1“, das auf der Kippe zwischen Himmelfahrt und Kotzen entlanggleitet. Trägt er den Ton zum Altar oder läßt er ihn in den Dreck fallen? Und dann zieht er ihn hoch zu einem geigenumtosten „iiiiaaaaaaaa“ und man weiß so wenig wie vorher.

Vielleicht trifft man noch Leute, die ihn in den sechziger Jahren gesehen haben. Wie er mit seinem blauen, engen Samtanzug, seinem Pferdeschwanz, seinen affektierten Bewegungen im Stil eines Dandys des 19.Jahrhunderts auf der Bühne stand, wie er bei den Balladen seine Beine bewegte, bis die Hose am Knie platzte, bei den Rock'n'Roll-Nummern mit den Hüften schlenkerte, bis sich der Riß dann bis nach oben zog und die Mädchen endlich ihren Gott sahen. Es war das Ende seiner kurzen Karriere zwischen 1963 und 1965, zweienhalb Jahre mit Hits wie „Hold me“, „Together“, „Somewhere“, „That means a lot“ oder „Nicky Hoeky“. Die Polizei hatte ein Auge auf seine Hose geworfen, Fernsehen und Konzertveranstalter mieden ihn. Der unerwünschte Ausländer blieb bis heute in England - der Kaiser aus Texas im Exil.

Lizzy Mercier Descloux: sympathische Karibikdisco mit naiver Hopsastimme. Kaffeewasser aufsetzen und wiederkommen. Was du hörst, ist was du bekommst. Proby kann alles, und das ist fast zuviel. Keiner verläßt den Raum. „Somewhere“: ein gigantischer Anfang wie ein brausendes Finale, ruhige, gleichmütige Klavierakkorde und seine Stimme, ein knödelnder Tenor, der plötzlich bösartig wird. „Somaaaaawhere a place for aaaaas“. 24 Arten „somewhere“ zu singen, nicht eine Wiederholung. „Ssssssomewhere“ und es wird zur drohenden Verheißung. Vielleicht wußte Proby selbst nie, wie er es gemeint hatte. P.J.Proby alias Jett Powers alias James Marcus Smith ist zu schillernd und geschmacklos, seine Ironie war noch Egohaltiger als die David Bowies oder Bryan Ferrys. Einmal triumphiert er wie Maria Callas, die sich einen dreckigen, texanischen Akzent zugelegt hat, dann schwingt er in Falsetthöhen Gene Pitneys, dann grunzt er mit versoffener Rockstimme und immer hört man nur eins P.J.Proby.

Randy Newman: Schön und witzig, der Singer singt den Songwriter, nette boshafte Miniaturen. P.J.Proby schauspielert sich 1967 durch Newmans „Mama told me not to come“ Uhhh Mama. Irgendwann in den Sechzigern fing der Irrtum an, daß der Komponist seine Lieder selber singen mußte, und seitdem leiden wir unter etwa fünfeinhalb Millionen Originalkompositionen und jede Platte liefert zehn neue. Proby besingt andere. Soulballaden wie „My Prayer“ oder Joe Tex‘ „Hold on what you've got“ - schmeichelnder Samt, predigende Beschwörungen, die hohen Töne mit feinem Schleifpapier poliert. Texte, die drei Minuten lang wahr werden, und seien sie noch so entsetzlich. Immer diese drei Minuten, in denen es um alles geht: Er lockt, verspricht, beschwört, stirbt sicher gleich, wenn sie ihn nicht erhört, kreischt, flötet und dann sind die drei Minuten um. Neuer Einsatz - neues Spiel. Die Begleitung ist sein Publikum, kein beliebiges Arrangement. Abheben, hochsteigen und dann wieder eintauchen. Die Sängerinnen, die Bläser, die Streicher - das einzige Publikum, das er braucht - die Antwort, die Frage, der Mann, die Frau, die Kulisse, ohne die er verkümmern müßte. Schrecklich.

Dinosaur Jr: Gitarrenschrumm, nervöse Leidenslitaneien wie hat man sich daran gewöhnt. Findet manches sogar besser, manches schlechter - Inzuchtgeschöpfe Bob Dylans und Lou Reeds in der dritten Generation. Rhythmisch deprimiert statt hysterisch - eindeutig dunkel statt dramatisch verzweifelt gelangweilt klagend statt die Scheiße in den lyrischen Tönen durchschimmern zu lassen. P.J.Proby sitzt dickvermummt in seinem Stuhl, den Cowboyhut über der Wollmütze, lange Haare und Bart, ein gefallener Engel als Howard Hughes. Es ist noch nicht zu Ende. „Aaaaargh“ und er kämpft sich durch „Tainted love“, „Love will tear us apart“, „Anarchy in the UK“. Maxi-Singles wie Meteoriten. John Wayne am Synthesizer und The children of Lebensborn als Begleitsänger. Wunderschön geschmacklos. Weiter so! Happy Birthday in Yorkshire!

Konrad Heidkamp.

P.J.Proby The legendary P.J.Proby at his very best Vol. 1 and 2, See for miles records SEE 72+SEE 82.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen